Du bist zu allem fähig
Der Morgen fängt schon gut an:
Noch bist du nicht frisch.
Da beißt du schon vor Ärger
in den Küchentisch.
Im Radio hörst du was,
das gefällt dir nicht.
Vor Wut entgleisen dir
die Züge im Gesicht.
Mit Kloß im Hals
greifst du zum Telefon.
Man hat schon damit gerechnet.
Ja, man kennt dich schon.
Du schnappst nach Luft,
bevor du reden kannst,
und mit lauter Stimme
alle hintern Mond verbannst..
Du bist zu allem fähig:
Keiner weiß es besser als du.
Du bist zu nichts zu gebrauchen,
doch ich trau dir alles zu.
Der Mittag ist noch weit.
Du läufst jetzt richtig warm.
Du versprühst außer Galle
zwischendurch mal Charme -
jedenfalls so etwas,
was du dafür hältst,
weil du dir in dieser Rolle
manchmal gut gefällst.
Aber dann, ist klar,
passiert schon wieder Mist.
Du hast es gleich gewusst,
dass nichts unmöglich ist.
Deine Sicherung brennt durch
und dein Kragen platzt.
Vor Ärger hast du dir
fast das Gesicht zerkratzt.
Du bist zu allem fähig:
Keiner weiß es besser als du. -
Du bist zu nichts zu gebrauchen,
doch ich trau dir alles zu.
Du verlangst und forderst,
randalierst und tobst.
Eher brichst du dir den Kiefer,
eh du einmal lobst.
Über jeden Fliegenschiss
willst du genau Bericht.
Du kannst ihn immer wieder lesen
und kapierst ihn nicht.
Aber jeder unter dir
ist ein Vollidiot,
der dir nur an den Karren pisst
und dich bedroht.
Alle sind verlogen,
keiner funktioniert -
ein unfähiger Haufen,
der nur intrigiert...
Denn nur du bist fähig.
Warum sieht das keiner wie du?
Zu nichts zu gebrauchen
trau ich dir doch alles zu...
Copyright 2000 Gerd Schinkel
Weil ich den Lebensunterhalt für meine Familie und mich in einem Vollzeit-„Brotberuf“ verdiene (festangestellter Hörfunkredakteur im öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit dem Arbeitsschwerpunkt in der tagesaktuellen, vor allem politischen Berichterstattung und Kommentierung), kann ich natürlich auch Erfahrungen sammeln, die anderen Liedermacher-Kollegen, die dieser Art der „abhängigen Beschäftigung“ nicht nachgehen müssen, erspart bleiben. Ich habe im Laufe meines Berufslebens Aufgaben in verschiedener – auch leitender - Funktion übernommen, Hierarchien und Hierarchen erlebt und ertragen, mich an Vorbildern orientiert und gegen Choleriker und überforderte Strohpuppen gewehrt.
Der Song entstand in der Schlussphase einer beruflichen Horrorzeit, in der ich mich als Redaktionsleiter auf eine zwischenhierarchische Ebene verlaufen hatte, auf der ich mich nach kurzer Zeit im nackten Krieg befand. In der undankbaren „Sandwich-Position“ sollte ich nach oben „funktionieren“ und nach unten Druck weitergeben. Eingelassen auf dieses Abenteuer hatte ich mich aber vor allem mit dem Ziel, das von mir mitverantwortete Radioprogramm mit mehr Lebensfreude anzureichern. das aber war ein Ziel, das aufgrund der misslichen Umstände unerreichbar blieb, weil in einer Atmosphäre der Angst, entstanden aus einem mit cholerischen Anfällen der Leitung angereicherten Arbeitsklima, keine Kreativität erwachsen kann, die ein lustvoll gestricktes Programm möglich machen könnte – erst recht nicht, wenn eine nicht unbeträchtliche Zahl der Mitarbeiter nur einen zeitlich befristeten Anstellungsvertrag haben und darauf hoffen, das dieser mal verlängert wird. Meinen Frust darüber habe ich in mehreren Liedern aus meiner persönlichen Arbeitswirklichkeit rausgelassen.
Dieses Lied entstand im Jahre 2001.Mit eben dieser „Berufserfahrung“ habe ich auch die Titel 10, 17, 18 und 19 dieser CD geschrieben.