GAMINO

 

Wie ein Dutzend Geschwister mit Löchern im Bauch –

grad deshalb um den Nabel gebläht.

Ein paar Lumpen am Leib und die Haare verlaust:

Ein Stück Mensch, nach dem kein Hahn je kräht,

sucht seinen Weg, sobald es laufen gelernt –

hat nirgends und überall Platz.      

Was Heimat, was Heimweh, wenn er sich entfernt –

in der Gosse doch bloß Bodensatz...

 

Gamino, Gamino –

du lernst das Überleben früh –

Flugsaat aus dem Barrio –

für die reiche Welt enfant perdu.

 

Hunger macht listig, Hunger macht Mut,

Hunger – tagtäglich gespürt.

Mit dem Rücken zur Wand vor den Abgrund gestellt

wird der Kampf auf der Straße geführt.

Volle Taschen vor Augen, doch nichts in der Hand,

kein Ballast, der dich hindert und stört.

Langes Betteln verlernt. Ein Zugriff genügt.

Wer fragt danach, wem was gehört.

 

Gamino, Gamino –

du weißt, was leere Taschen sind –

Flugsaat aus dem Barrio –

für die reiche Welt verlornes Kind.

 

Kennst keine Liebe, kein Alphabet,

kennst nur das Leben im Dreck.

Jäger und Sammler, im Lauern geübt

und im Laufen: Das hat für dich Zweck.

Im Asphaltdschungel hast du dein Revier,

wo sich deine Beute bewegt.

Zigtausend auf Jagd, aussortiert so wie du,

kurzerhand in die Gosse gefegt...

 

Gamino, Gamino –

du lernst das Überleben früh –

Flugsaat aus dem Barrio –

für die reiche Welt enfant perdu.

 

Copyright 1982 Gerd Schinkel

 

Das Lied entstand in einer Zeit als ich anfing, mich wie meine Frau Martina für die Organisation „terre des hommes“ zu engagieren: Zunächst lokal in der Arbeitsgruppe in Ludwigsburg. Das war noch bevor wir unseren ersten Antrag auf Adoption eines Kindes aus dem Ausland bei der Geschäftsstelle von „terre des hommes“ in Osnabrück eingereicht hatten.

Als Bundesvorstandsmitglied bei „terre des hommes“ Deutschland hatte ich von 1984 an drei Jahre lang Mitte der achtziger Jahre monatlich über die Verwendung von Spendengeldern mitzuentscheiden. Dies hieß konkret: Welche entwicklungspolitisch sinnvollen Projekte sollten gefördert werden. Zuvor hatten wir schon einige Jahre in der Ludwigsburger Arbeitsgruppe von „terre des hommes“ bei Aktionen mitgewirkt, die allein den Zweck hatten, die Öffentlichkeit zu informieren und Spenden zu sammeln. In dieser Zeit entstand dieses Lied über Slum-Kinder in Lateinamerikas Elendsvierteln, die sich ihren Lebensunterhalt auf den Müllkippen der Metropolen erkämpfen und von den Abfällen leben, die von den Reichen weggeworfen wurden. Die französische Übersetzung für die Formulierung „verlornes Kind“ hatte ich aus einem Lied von Wolf Biermann in Erinnerung und habe sie in mein Lied übernommen. Geschrieben 1982