Bauchschuss

 

„Bauchschuss - Politiker schwer verletzt!“ -

„Ein Altersheim von Radikalen besetzt!“ -

Das sind Sensationen, die sonst keiner bringt,

weil solch Journalismus nur uns gelingt.

 

Auch wenn der Politiker selber traf,

ein Student radikal Dreck beseitigen darf -

was solls: Wir schreiben es klein dabei.

Die Überschrift gilt! Der Rest geht vorbei...

 

Was immer geschieht, wir sind schon da.

Wir sind immer dabei. Und alles ist wahr...

 

Sie erfahren durch uns die dollsten Dinger.

Wir hüpfen drauf wie rechte Springer.      

Die Sensationsgier wird gestillt.

Durch unser Verdienst sind sie voll im Bild.

 

„Der Kandidat mit dem Dolch bedroht!“

„Dem Feuer entkommen, mit knapper Not!“

Das erfahren sie nicht in der Tagesschau,

und warum nicht, sagen wir auch genau!

 

War der Mann mit dem Dolch nur zum Schutz bereit ,

und brannte das Feuer schon lange Zeit -

was solls: Wir schreiben es klein dabei.

Die Überschrift zählt! Der Rest geht vorbei.

 

Erkennen sie: Es wird manipuliert!

Die Presse ist frei! Und das Fernsehen zensiert!

 

Sie erfahren durch uns die dollsten Dinger.

Wir hüpfen drauf wie rechte Springer.      

Die Sensationsgier wird gestillt.

Durch unser Verdienst sind sie voll im Bild.

 

„Bankraub gelungen!“ Und wieder mal

„Chaoten am Werk!“ in großer Zahl!

„Wir müssen uns wehren!“ – „Wir müssen was tun!“

„Wer kann denn bei solcher Gefahr noch ruhn...“

 

Zwar wurde der Bankraub nur gedreht.

Die Chaoten kamen im Theater zu spät.

Was solls - wir schreiben es klein dabei.

Die Überschrift wirkt! Der Rest geht vorbei.

 

„Lesen sie die Serie vom Massenmord“.

Wir drucken sie rot! Blut in jedem Wort!

 

Sie erfahren durch uns die dollsten Dinger.

Wir hüpfen drauf wie rechte Springer.      

Die Sensationsgier wird gestillt.

Durch unser Verdienst sind sie voll im Bild.

 

Copyright Ende der 70er Jahre Gerd Schinkel

 

Die BILD-Zeitung nährt mit jeder neuen Ausgabe selbst den Zweifel an ihrem Wahrheitsgehalt. Mit reißerischen Schlagzeilen zu vergleichsweise unspektakulären Ereignissen will man den Käufern das Geld aus der Tasche ziehen. Mit dem, was wirklich passiert ist, hat das Beschriebene oft nicht mehr viel zu tun. BILDblog.de dokumentiert es im Netz.
Die Meinungs-, Stimmung- und Panikmache der Springer-Presse, immer vorneweg die Bild-Zeitung, ist ein Dauerärgernis hierzulande, denn es wird in hässlicher Regelmäßigkeit aufgebauscht und vermengt, was so eigentlich nicht zusammengehört, es werden Zusammenhänge konstruiert und gnadenlos Leute medial durch Schlagzeilen an den Pranger gestellt, die im Grund wehrlos sind. Dabei kann es dem Verlag nicht nur ums Geld gehen. Der selbst erhobene Anspruch, als Anwalt der „kleinen Leute“ aufzutreten, wird zur widerlichen Farce. Die im Lied aufgezählten Überschriften gab es sinngemäß tatsächlich - ebenso wie die anschließenden, relativierenden Klarstellungen, die die aufgebauschten Geschichten im Grunde in Seifenblasen verwandelten, nicht mal mehr für einen Knall tauglich... geschrieben 1976