Bekenntnis
Darf ich mich vorstelln: Mein Name ist gleich.
Mein Sitzfleisch ist gut, und mein Rückgrat ist weich.
Mein Schlaf ist gesund, im Büro und im Bett.
Werde ich drin gestört, find ich das gar nicht nett.
Ich krieche nach oben und fühle mich frei.
Bei der nächsten Beförderung bin ich dabei.
Mein Fähnlein schon immer im Winde hing,
denn: Wes Brot ich ess, des Lied ich sing.
Was will ich mehr, denn mir gehts nicht schlecht.
Ich grüble nicht lange: Der Chef hat recht.
Mein Buckel ist mächtig, zeigt dreihundert Grad,
bin sehr gut dressiert: Idealdemokrat.
Ich hab eine Meinung – nur wenn sie mir nützt.
Wer mich frei von ihr hält, wird von mir unterstützt.
So lebt es sich leicht, vor und mit der Pension.
Ein Leben in Ruhe wünsch ich mir als Lohn.
Mein Fähnlein schon immer im Winde hing,
denn: Wes Brot ich ess, des Lied ich sing.
Was will ich mehr, denn mir gehts nicht schlecht.
Ich grüble nicht lange: Der Chef hat recht.
Ich diene dem Staate solange ich kann.
Was er mir auch vorsetzt, da glaub ich fest dran.
Mein Imperativ ist die „eff deh Geh oh“ *.
Sie ist meine Richtschnur. Nur sie lieb ich so.
Der Inhalt der Buchstaben ist mir egal.
Wozu gibt es alle vier Jahr eine Wahl...
Mein Fähnlein schon immer im Winde hing,
denn: Wes Brot ich ess, des Lied ich sing.
Was will ich mehr, denn mir gehts nicht schlecht.
Ich grüble nicht lange: Der Staat hat recht.
So bleib ich im Amte und sorg mit dafür,
dass alles so bleibt. Und ich schließ meine Tür,
setz mich in mein Auto und fahre nach Haus,
mach den Fernseher an, zieh die Straßenschuh aus.
Denk: Rutscht mir den Buckel, der ist krumm genug.
Und halte mich selbst für gescheit und für klug.
Jeder Kritik enthalt ich mich.
Und wenn alle jubeln, dann juble auch ich.
So hat jeder hier seinen Platz im Staat –
und so wie gedüngt wird, so wächst die Saat...
*die „freiheitlich demokratische Grundordnung
Copyright Ende der 70er Jahre Gerd Schinkel
In den 70er Jahren ist die linke studentische Jugend erheblich verunsichert worden. Bund und Länder wollten mit dem sogenannten „Radikalenerlass“ mutmaßliche Verfassungsfeinde aus dem öffentlichen Dienst fernhalten. Dazu mein „Beamten-Bekenntnis“. Es ist ein „Beamtenbekenntnis“ oder Bekenntnis eines Angestellten im öffentlichen Dienst, der seine Verfassungstreue bekundet und jegliche Zweifel an seiner Unterstützung der FdGO i.S.d.GG (freiheitlich demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes) ausgeräumt sehen will. Man will ja schließlich seinen Job behalten. Geschrieben 1977 in der hohen Phase der Anwendung des sogenannten Radikalenerlasses, als es den daran interessierten Kreisen in der Bundesrepublik gelungen war, Terrorismushysterie und Antikommunismus miteinander zu verquirlen und man bestrebt war, jeden aus dem Staatsdienst zu entfernen, der die Buchstaben DKP in die richtige Reihenfolge bringen konnte...