SOZIALISTENGESETZ 

 

Einhundert Jahre Sozialistengesetz.

Genauso lang schon Radikalengehetz.   

Und auch nach hundert Jahren längst noch nicht vorbei.

Doch wird behauptet, dass nun alles besser sei...

 

Die Staatsfeindhetze hat in Deutschland lange Tradition.

Der erste Vorwand war schon Terroristenrebellion:

Ein Anschlag auf den Kaiser, ein Angriff auf den Staat.

Der Anlass passte gut: Man griff zum Würgedraht...

 

Eine gerade Linie geht von Bismarck bis Schmidt:

Erst jagte man die SPD, dann jagte sie selbst mit:

Hundert Jahre lang hat sie wohl nichts daraus gelernt.

Von Einsicht und Erkenntnis meilenweit entfernt.

 

In blindem Eifer – Noske-Art – , da war auf sie Verlass:

Bismarcks Opfer griff zum Radikalenerlass,

zum altbewährten Mittelchen: Gesinnungsschnüffelei.

Dazu belog man uns: „Wir warn noch nie so frei...“

 

Man spuckte große Töne aus dem Fenster raus.

Ja, Worte sind geduldig, doch man lernt daraus:

Ein Tauwetter bleibt kalt, solang man zynisch-dreist

politisch Unbequeme aus der Arbeit schmeißt.

 

Nicht nur im Westen gab es deutsche Gründlichkeit:

Noch ein deutsches Land hielt sich für längst befreit.

Tief im Grabe grinste Bismarck – wer hielt ihn für tot? – :

Funktionäre straften Linke mit Berufsverbot.

 

Terroristen, Kriminelle, Dealer, Gangster, Topspion –

Gründe zur Bespitzelung, die schafft man sich schon.

Wenn Sicherheit vor Freiheit geht, dann ist es bald vollbracht:

Und schon herrscht wieder rabenschwarze Friedhofsnacht.

 

Einhundert Jahre Sozialistengesetz –

einhundert Jahre hohles Freiheitsgeschwätz.

So lang gefeixt hat sie und grinst auch noch, die Reaktion:

Gibt Überlebenshilfe für die Inquisition.

 

Copyright 1978 Gerd Schinkel

 

Zum 100jährigen „Jubiläum“ der Sozialistengesetze im deutschen Kaiserreich, auf deren Grundlage unter Bismarck Sozialisten kriminalisiert und verfolgt wurden. Dieser runde „Geburtstag“ fiel in die Zeit der „Berufsverbote“ während der Regierungszeit einer sozial-liberalen Koalition: Die Ministerpräsidenten der Bundesländer und die Bundesregierung hatten sich auf einen „Radikalenerlass“ geeinigt, um so jeden aus dem öffentlichen Dienst fernzuhalten, der angeblich die freiheitlich-demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bedrohte. Die bloße Mitgliedschaft in einer als „verfassungsfeindlich“ (und nicht etwa „verfassungswidrig“) eingestuften Organisation war ausreichend für Zweifel.

Geschrieben 1978