Oettinger Klartext

 

Der Filbinger war so ein heiliger Mann,

der meinte, dass man ihm nichts vorwerfen kann.

Er war Demokrat, sagt er, von Anfang an -

der furchtbare Richter von Stuttgart.

 

Und war er auch schon als Student braun-konform

und zeigte sich stark in SA-Uniform -

er war doch dagegen, sagt er, ganz enorm,

der furchtbare Richter von Stuttgart.

 

Im Kriege warn viele das Morden so leid

und wollten bloß abhaun zur günstigen Zeit.

Wie Gröger, der heut aus dem Grabe noch schreit

zum furchtbaren Richter von Stuttgart.

 

Der hat bis zuletzt um den Endsieg gebangt

und für Gröger die Todesstrafe verlangt.

In Treue zum Führer hat er nicht geschwankt,

der furchtbare Richter von Stuttgart.

 

Und doch ging der Krieg und der Hitler vorbei.

Im britischen Lager war das einerlei.

Es urteilte weiter, als wär nichts dabei,

der furchtbare Richter von Stuttgart.

 

Der Petzold, der glaubte sich endlich befreit

von den Nazihunden und schrecklicher Zeit.

Da hat ihn verurteilt - na, wer war bereit?

Der furchtbare Richter von Stuttgart.

 

Dann saß er im Sessel als Christdemokrat,

gewandt als Garant für die Freiheit im Staat.

Doch in seinem Geiste hielt sich braune Saat,

im furchtbaren Richter von Stuttgart.

 

Da saß er und hat Demokraten bedroht –

ein braunes Fossil trocken im schwarzen Boot.

In seinem Beruf traf ihn nie ein Verbot,

den furchtbaren Richter von Stuttgart.

 

„Was damals Recht hieß, könnt heut Unrecht nicht sein.“ -

Sein Wahlspruch ein Freispruch für manch braunes Schwein.

Und was man ihm vorwarf, wär Rufmord allein

am ehrbaren Richter aus Stuttgart.

 

Dann warf er das Handtuch - doch ohne ein Wort

der Reue nach Staatsterror und Nazimord.

Dass er doch beteiligt war, wischte er fort,

der furchtbare Richter von Stuttgart.

 

Der dritte der Nachfolger Oettinger heißt,

der dreißig Jahr später der Welt klar beweist:

Er hat nichts begriffen, weil er sich erweist

als Westenweißwäscher von Stuttgart.          

 

Der Filbinger war, so behauptet er keck,

ein Gegner der Nazis. Bewirft so mit Dreck

die Opfer von damals, und uns packt der Schreck

vorm Westenweißwäscher von Stuttgart.

 

Der Richter einst furchtbar das Blut mit vergoss,

und reuelos später sein Leben beschloss.

Der Schoß, der blieb fruchtbar - man sieht es am Spross:

Dem Westenweißwäscher von Stuttgart.

 

Rund 60 Jahr später - fast 30 danach -

begräbt der den Täter, denkt dabei nicht nach.

Die Wahrheit verdreht er, gebiert neue Schmach,

der Westenweißwäscher von Stuttgart.

 

Und so wird vergeben, vergessen, verdrängt.

Fehlt nur noch, dass man hoch ein Weihrauchfass schwenkt.

Da geht eim der Hut hoch: Er tut noch gekränkt,

der Westenweißwäscher von Stuttgart.

 

Und kriegt noch, man glaubts kaum, den Rücken gestützt

aus seiner Partei, aus der mancher ihn schützt,

wie früher den Filbinger - auch wenns nix nützt,

den Westenweißwäschern von Stuttgart

 

Der Weißwäscher klagt, dass man ihn missversteht,

knickt reumütig ein, als nix andres mehr geht:

Ein Wetterhahn, der sich im Wind taktisch dreht,

der Westenweißwäscher von Stuttgart.

 

Was ist seine Reue wert, will er doch nur

sein Kopf aus der Schlinge ziehn mit diesem Schwur.

Berechnend versucht er die Reparatur:

Will die Weste weiß waschen in Stuttgart.

 

Der Oettinger passt gut ins alte Format:

Ein schwarzbrauner Keimling aus furchtbarer Saat.

Doch so macht das Ländle gewiss keinen Staat:

Mit Weißwäschern, nicht nur in Stuttgart.

 

Copyright 2007 Gerd Schinkel

 

Ein altes Lied aus Jahrzehnte entfernter Vergangenheit mit längst abgetretener Hauptperson wurde durch aktuelle Vorgänge plötzlich wieder in die Gegenwart gerissen. Dies bot eine gern genutzte Möglichkeit zur ergänzenden Aktualisierung mit einem fliegenden Wechsel in der Hauptperson. Auch diese Ereignisse waren eine Weile fortlaufend.