Der Verdacht

 

Also ehrlich: Ich bin keiner,

der sich ständig nur beschwert,

dauernd jammert oder meckert,

dem nichts recht ist, nur verkehrt.

Ich war immer tolerant –

und fiel es mir auch noch so schwer.

Ich ertrag so allerhand.

 

Doch irgendwann, da gehts nicht mehr.

Irgendwas geschieht hier gerade!

Ich hab den Verdacht,

das ist auch kein Versehn –

so hinterhältig, wie mans macht.

 

Jede Treppe, die wir laufen,

die wird steiler jedes Mal.

Jede Stufe immer höher.

Jeder Schritt wird so zur Qual.

Die vertraute alte Strecke:

Einkaufsweg seit Ewigkeit,

wird offenkundig nachts verlängert.

Sie war früher nicht so weit.

 

Irgendwas geschieht hier gerade!

Ich hab den Verdacht,

dass man mit Absicht alles

weiter, höher, steiler macht.

Ich bin doch nicht von gestern!

Ich bin doch kein Idiot!

Ich merk doch, wie sie lästern!

Ich fühl mich echt bedroht!

 

Frag ich die jungen Nachbarn,

dann vermiss ich Höflichkeit.

Sie antworten fast lautlos,

flüstern nur die ganze Zeit.

Wolln die nicht mit mir reden,

ganz normal, so wie man spricht?

Weshalb wolln die mich ärgern?

Lippen lesen kann ich nicht.

 

Irgendwas geschieht hier gerade!

Ich hab den Verdacht,

irgend jemand hat mich wohl

schwer in Verruf gebracht.

 

Kleidergrößen: Sind die

abgeschafft? Ist das legal?

Jeansbund 30 - Wieso 40?

Ist das denn egal?

Meine alte T-Shirt-Größe?

 „M“: Wer passt da rein?

Wie kann „XXL“ von heut

die selbe Größe sein?

 

Irgendwas geschieht hier gerade!

Ich hab den Verdacht,

dass man uns hier das Leben

ganz bewusst zur Hölle macht.

Ich bin doch nicht von gestern!

Ich bin doch kein Idiot!         

Ich merk doch, wie sie lästern!

Ich fühl mich echt bedroht!

 

Da läuft doch ne Verschwörung!

Passiert da nicht Verrat?

Ich merk es mit Empörung.

Ja, schützt mich nicht der Staat?

Schützt mich nicht der Staat? 

 

Die Schrift im Telefonbuch

ist absichtlich extra klein.

Die Waage falsch geeicht: Ich weiß,

so schwer kann ich nicht sein!

Die Straßen sind nicht sicher:

Viel zu schnell ist der Verkehr.

Die Einkaufstasche, die war früher

auch längst nicht so schwer!

 

Irgendwas geschieht hier gerade!

Ich hab den Verdacht,

dass irgendwer auf unsere Kosten

sich was ausgedacht.

 

Die Jugend ist heut deutlich jünger,

als wirs jemals warn.

Was hat man den Greisen,

die so alt wie ich, getan?

Manch Falten-Alten kannt ich gut. –

Nun kenn die mich nicht mehr...

Wie hießen die noch...? Fällt mir

gleich ein…! Sags dir hinterher...

 

Irgendwas geschieht hier gerade!

Ich hab den Verdacht,

die denken, mit uns kann mans machen,

weil mans mit uns macht...

Sie wolln uns übers Ohr haun!

Da müssen wir uns wehrn!

Vielleicht an höchster Stelle uns nur laut genug beschwern?

 

Und lassen wirs so laufen,

dann ist jeder bald geplagt!

Dann machen die so weiter,

wenn keiner sich zu wehren wagt,...

keiner sich zu wehren wagt…

 

Copyright 2006 Gerd Schinkel

 

Wenn sich die Anzeichen mehren, Indizien und Spuren unübersehbar werden, wird es Zeit, sich den mutmaßlichen Tatsachen zu stellen. George Auerbach, ein Freund aus Toronto, den ich über eine Phil-Ochs-Fan-Mailingliste kennengelernt hatte, überraschte mich mit der Weiterleitung eines Briefes, den er aus dem Internet gefischt hatte: Es handelte sich um einen Aufruf in besonders großer Schrift, der in Prosa genau das formulierte, was ich dann anschließend in gereimte Form gebracht und vertont habe. Dies ist ein Verfahren, das ich rund dreißig Jahre vorher schon mal angewandt hatte, und zwar beim Katastrophen-einsatzplan vom Kernforschungszentrum Karlsruhe-Leopoldshaven.