Reif
Reif - aber wofür?
Willst du rein oder raus oder durchgehn:
nimm diese Tür.
Ob gradwegs oder in Kurven:
es geht immer nur nach vorn.
Wer das Ziel dabei aus dem Blick verliert,
ist schnell unterwegs verlorn.
Klein und schmächtig, stolz und prächtig,
für den Ernstfall rausgeputzt.
Lernen, fragen, stöhnen, klagen –
und die Flügel kurz gestutzt:
In der Schule.
Jung und kräftig, cool und heftig,
auf das Leben eingestellt.
Angst vorm Morgen glimmt verborgen,
bis sie dir in den Rücken fällt:
In der Lehrzeit.
Heiß ersehnen, aneinander lehnen:
Zweisamkeit auf engstem Raum.
Dulden, geben, genießen, schweben -
überm Boden wie im Traum:
In der Liebe.
Grau, gebrechlich: nebensächlich.
In Erinnerung entfliehn.
Gebeugt, beladen, am seidnen Faden
erlöst ins Ungewisse ziehn:
Dann im Alter.
Copyright 2003 Gerd Schinkel
Mit dem Lied versuche ich den „normalen“ Ablauf eines Lebens in Verse und Strophen auszudrücken, komprimiert und konzentriert auf Aspekte, die für bestimmte Phasen des Lebens typisch sind und die sich nebeneinander stellen lassen. Dies ist schon in manchen Liedern versucht worden. Beispiele wären von Joni Mitchell "Circle Game" oder von Harry Chapin "Circle". Ich versuche es hier aus einer eher abgeklärten Perspektive, die den Rückblick zulässt… Nachdem ich zuerst die Musik hatte, ohne einen Text, hatte ich irgendwann - wie so oft: unterwegs in der Fußgängerzone - den entsprechenden Einfall zu diesem Lied, nämlich die ersten beiden Zeilen des Refrains. Der Rest schrieb sich wie von selbst. Der Versuch, die verschiedenen Abschnitte des Reifeprozesses zu unterteilen und dabei zu fragen, wofür und warum man eigentlich „reif“ sein soll. Von 2003.