COMPUTER

 

Wie war doch einst das Leben schwer:

Mit Krankheit, Armut, und noch mehr

für den, der in der Fremde war.

Kein andrer Mensch war für ihn da.

Auch in der „Heimat-ach-so-weit“,

dort fiel man in Vergessenheit.

 

Doch diese Zeiten sind passé.

Die Einsamkeit tut nicht mehr weh.

Wir sind heut nicht mehr unbekannt,

nicht anonym in diesem Land.

Ne Nummer bringt die Einzigkeit.

Das ist unsere neue Zeit.

 

Ja, eins-zwei-drei,

kommt mal die Polizei.

Du hast kein Ausweis dabei?

Dann macht sie kein Geschrei.

Denn vier-fünf-sechs,

hat sie auch schon gehext:

Tja, ein Computer kennt dich längst,

und weiß auch, was du denkst.

 

Geheimniskrämerei ade!

Das Misstraun schmilzt dahin wie Schnee.

Jedermann ist ja durchschaut.

Man kennt die Flecken auf der Haut,

die Meinung und die Konfession.

Gespeichert sind sie lange schon.

 

Der Computer hat Moral:

Er tut dir nichts, bist du normal.

Doch wehe, du bist schwul, verklemmt,

sind deine Haare falsch gekämmt.

Denn alles wird sofort erfasst,

auch mit wem du geschlafen hast.

 

Ja, eins-zwei-drei,

kommt mal die Polizei.

Du hast kein Ausweis dabei?

Dann macht sie kein Geschrei.

Denn vier-fünf-sechs,

hat sie auch schon gehext:

Tja, ein Computer kennt dich längst,

und weiß auch, was du denkst.

 

Er weiß, wie viel du heimlich sparst,

ob du mal beim Psychiater warst,

wohin du im Urlaub fährst,

wo du dich und warum beschwerst,

die Kragenweite und noch mehr:

Keiner kennt dich so wie er.

 

Wenn er so deine Daten nennt,

dann freu dich doch, dass er dich kennt.

Gibt er sie weiter - bitte sehr:

Dann kennen dich vielleicht noch mehr.

Und hat er dich auch in der Hand:

Er hat es nur fürs Vaterland...  

 

Ja, eins-zwei-drei,

kommt mal die Polizei.

Du hast kein Ausweis dabei?

Dann macht sie kein Geschrei.

Denn vier-fünf-sechs,

hat sie auch schon gehext:

Tja, ein Computer kennt dich längst,

und weiß auch, was du denkst.

 

Copyright 1979 Gerd Schinkel

 

Als die Bundesregierung Ende der siebziger Jahre eine großangelegte Volkszählung durchführen wollte, hatte sie wohl kaum damit gerechnet, dass ihre Pläne derartig zerpflückt würden. Dass die Daten alle gespeichert werden könnten und damit jeder quasi erfasst, wenn nicht gar durchleuchtet wäre, war kurz vor 1984 auch mit Blick auf George Orwells gespenstisches 1984-Szenario eine Schreckensvision - vor allem, weil Computer noch mit reichlich Geheimniskrämerei umwabert waren und im Grunde nur für grenzenlose und abschreckende Angst einflößende Überwachung standen... Wie sich die Zeiten ändern...

geschrieben 1979