Alter Knabe

 

Nase und Mund, Brauen und Stirn
so befremdlich – und doch so vertraut.
Die Falten, die Züge, der Bart, dieser Blick,
die Weise, wie er auf mich schaut.

Lider halb offen – oder sind sie halb zu?
Müde Augen, Blau halb bedeckt.
Lippen leicht auf – und im Mundwinkel zuckt’s – 
dann plötzlich die Zunge gestreckt...

 

Haar, das sich wehrt gegen jede Frisur.
Ohr’n, die nur hör’n was sie woll’n.
Wangen und Kiefer, Kinn und Gebiss,
alte Zähne, die tun, was sie solln.

Manch Nasenhaar den Schnäuzer ergänzt,
wächst aus dem Dunkel ins Licht.
Haut, rot geädert, welk und gefleckt –
Lebensspuren so tief im Gesicht.

 

Alter Knabe, hol Luft – doch blas dich nicht auf.
Häng nicht durch – auch nicht unter Druck.
Zieht dich was runter, komm schön wieder rauf.
Bleib aufrecht – gib dir einen Ruck.

Noch läuft deine Pumpe, wenn auch nicht rund.
Das wird schon – gib ihr etwas Zeit.
Lass dich nicht hängen – das Leben ist bunt.
Schau nach vorn, alles offen und weit.         

 

Ich kenn dich und weiß auch was los mit dir ist.
Du machst mir schon lang nichts mehr vor.
Ich weiß, was du brauchst und wo du es kriegst,
wie man finden kann, was man verlor.

Den Arsch kneif zusammen – beiss dich halt durch,
kannst mutiger sein als du denkst.
Zwinker dir zu – und füll deinen Tank
mit Vertrau’n, das du selber dir schenkst.

 

2010