Trotzige Alte
Wenn ich diese zornigen Alten seh –
Mensch, dann krieg ich soviel Luft.
Alte, die ich nicht erkalten seh,
deren Kraft noch nicht verpufft.
In ihren Adern fließt noch Hitze.
Die Rente lähmt nicht ihr Gehirn.
Aus ihren Augen blitzen Blitze.
Und sie zeigen, wenns drauf ankommt, Stirn.
Wenn ich diese mutigen Alten seh,
dann ist mir vor der Welt nicht bang.
Wenn ich in die Falten dieser Alten seh,
dann weiß ich: Diesen Weg gehts lang.
Schwach sind vielleicht ihre Glieder,
nicht stark genug für Hetz und Tanz.
Doch sie singen mit uns unsere Lieder.
Und ihr Rückgrat ist noch immer ganz.
Ihr zornigen, trotzigen Alten der Republik.
von euch weiß ich,
nicht jeder Nackenschlag bricht das Genick.
Ihr mutigen, trotzigen Alten der Republik,
von euch weiß ich,
nicht jeder Nackenschlag bricht das Genick.
Wenn ich diese wachen Alten seh,
dann find ich ruhig Schlaf bei Nacht,
weil ich durch sie wohl erhalten seh,
was so vieler Jahre Kampf gebracht.
Deutscher Michel - schlaf mit Mütze!
Der Wecker kräht: Wann stehst du auf?
Du liegst schon lange in der Pfütze,
stehst aufgeweicht zum Ausverkauf.
Wenn ich diese jungen Alten seh,
mit Feuer und Begeisterung,
daneben andere schalten und walten seh:
Greise, die doch noch so jung.
Dann möchte ich die Zeit entfernen,
als Schüler mit den Alten gehn.
Bei denen gibts soviel zu lernen,
in so viel Leben einzusehn...
Ihr zornigen, trotzigen Alten der Republik.
von euch weiß ich,
nicht jeder Nackenschlag bricht das Genick.
Ihr mutigen, trotzigen Alten der Republik,
von euch weiß ich,
nicht jeder Nackenschlag bricht das Genick.
Copyright 1982 Gerd Schinkel
Unter dem Eindruck des Schulterschlusses zwischen Enkel- und Großelterngenerationen – ohne dass man die „Eltern“ ausgeschlossen hätte - an Bauzäunen und Zufahrten zu Raketenlagern war es mir ein Bedürfnis, meinen Respekt zu artikulieren. Ich habe diesen Text unter anderem Heinrich Albertz gewidmet, aber auch einigen anderen, die ich in meinem 1982 im RADIUS-Verlag erschienenen Buch „Überlebenslieder und Texte übers Leben“ namentlich genannt habe, darunter auch der FDP-Politiker William Borm, über dessen Agententätigkeit für die Stasi damals noch nichts bekannt war. Doch seine Verfehlungen schmälern nicht nachträglich meinen Respekt vor vielen unbekannten betagten Aktivisten. Inspiriert durch den Journalisten Axel Eggebrecht, der in einem Buch die gesellschaftliche Wirklichkeit der Bundesrepublik durch „zornige Alte der Republik“ kritisieren ließ, und ebenso inspiriert durch die Beteiligung so vieler prominenter und unbekannter Senioren an den Demonstrationen und Blockaden vor Raketenlagern oder Kernkraftwerken. Geschrieben 1979, hielt ich es in den achtziger Jahren für das wichtigste Lied in meinem Repertoire.