Radiotime
Am Morgen werd ich wach –
nicht weil ein Wecker brüllt.
Das Radio weckt mich mit lautem Ton.
Ich dreh mich noch mal um,
weil ich noch so schön lieg
und hör Musik und Frühinformation:
Ich hab die Auswahl zwischen Techno-Sound
und Oldies, die ich kenn,
ein langweiliges Interview,
bei dem ich wieder penn,
ein Pastor von der Morgenandacht
schwätzt von innrer Ruh,
dann stundenlang Verkehrshinweis –
ich deck mich wieder zu.
Der Apparat am Kabeldraht
bei mir daheim,
der läuft den ganzen Tag –
it’s radiotime.
Ich warte auf das Neueste –
aber vorher schon
sagt mir ein Jingle: Sperr die Ohren auf!
Das tu ich brav
und krieg sie gleich total verstopft
mit Werbesprüchen - die hörn gar nicht auf.
„Nimm diese Brille, diese Slipeinlage,
diese Batterie,
Versicherung und Darlehn,
jetzt gleich, morgen oder nie.
Der Yoghurtbecher, jener Saft
und Skifahrn in Tirol,
das Duschgel und die Chips,
das Bier mit ohne Alkohol,
die Zahnpasta, das Waschpulver,
der Schokosnack ...“
Und dann McDies, McDas,
McHeck, Heckmäck.
Dann Nachrichten,
dass ich von der Matratze flieg:
Skandal im Sperrbezirk – ich sperr mich ein.
Das ist mein Parlamentssitz,
den mir keiner nimmt.
Mit Klopapier gehört mir der allein,
mit „dieser Brille, dieser Slipeinlage,
dieser Batterie,
Versicherung und Darlehn,
jetzt gleich, morgen oder nie,
der Yoghurtbecher, jener Saft
und Skifahrn in Tirol,
das Duschgel und die Chips,
das Bier mit ohne Alkohol,
die Zahnpasta, das Waschpulver,
der Schokosnack ...“
Und dann McDies, McDas –
McHeck, Heckmäck.
Wie schön wär das,
wenn ich nen eignen Sender hätt,
mein Intendant, mein Moderator wär.
Bei mir gäbs nur noch Werbung,
ohne Hinweis drauf.
Und mein Programm wär: Los, verdien noch mehr.
Dann gäb es Werbung auch in Nachrichten,
Werbung mit Musik,
kein Kommentar, kein Interview
und nix von Politik.
Verkehrshinweis mit Werbung,
und die Zeitansage auch.
Ich würd so jedem sagen,
was ich esse, trink und brauch.
Die Morgenandacht bliebe grad
als Werbegag
für McDies, McDas –
und für Heckmäck...
Copyright 1983 Gerd Schinkel
Zwischen 1982 und 1985 habe ich drei Jahre lang als Nachrichtenredakteur im SDR-Hörfunk gearbeitet. Zum eifrigen Radiohörer wurde ich schon in früher Jugend - Fernsehen kam erst spät ins Haus. Als ich den Text schrieb, war ich Volontär bei der „Kornwestheimer Zeitung“ und lebte im Sendegebiet des Süddeutschen Rundfunks, der damals (aus meiner Sicht) die Programmverflachung vorwegnahm, die durch die Genehmigung privater, kommerzieller Radiostationen zu erwarten war. An Programme gewöhnt, die mich unterhalten und informiert haben, fiel es mir schwer, mich mit Rundfunkwerbung abzufinden. Bereits in meiner süddeutschen Zeit (zwischen 79 und 85) hielt ich das, was die in Stuttgart ansässige öffentlich-rechtliche Anstalt in ihren populären Programmen den Hörern an Werbung zumutete, für Körperverletzung. Das Lied reagierte in seiner Urfassung, die in meinem Buch „Überlebenslieder und Texte übers Leben“ (erschienen 1982 im RADIUS-Verlag) abgedruckt ist, auf eine damals fortschreitende Kommerzialisierung des öffentlich-rechtlichen Radioprogramms. Ich habe meinen Frust in eine Vision kanalisiert, die allerdings inzwischen wohl längst weitgehend von der Realität überholt wurde... Geschrieben Anfang der achtziger Jahre, war der Song zwischenzeitlich auch in anderer musikalischer Version im Repertoire meiner Rockgruppe „Krise“...