Journalisten
Journalisten, wenn die wüssten,
was sie alles wissen müssten,
wenn sie sich mit Wissen brüsten –
allerhand!
Redakteure, Wortjongleure –
auf Papier und in der Röhre.
Dünn für alle Nadelöhre –
aalcharmant.
Dass auch alles glatt geht,
dass sich flott das Rad dreht,
und auch was im Blatt steht:
Drauf kommts an...!
Alleskönner, Dauerbrenner,
wie die wahren Supermänner.
Überall die schnellsten Renner –
allerhand!
Konferenzen, Prominenzen,
stets auf Audienzen glänzen,
fixer als die Konkurrenzen:
Ganz rasant!
Dass der Käufer rangeht,
und nicht lange ansteht,
nicht die Groschen lang dreht:
Drauf kommts an!
Kühne Thesen, hohe Spesen.
Gast im Presseclub gewesen!
Tief im Kaffeesatz gelesen –
allerhand!
Heiße Ware, weiße Haare.
viel Erfahrung, lange Jahre!
Wichtig alle Kommentare.
Weit bekannt!
Er schreibt, wo er hingeht,
dass im Blatt was drinsteht.
Wenn er auch den Sinn dreht:
Kommts drauf an?
Formulierer, Diskutierer,
Hofberichter, Applaudierer,
Lesermeinungsproduzierer –
allerhand...
Analysen stets bewiesen –
und den rechten Mann gepriesen.
Prophezeit stets alle Krisen –
ganz brillant!
Ob es dir wie mir geht?
Was oft auf Papier steht,
mir im Schlund das Bier dreht –
rauf kommts dann...
Journalisten, wenn die wüssten,
was sie alles wissen müssten,
wenn sie sich mit Wissen brüsten –
allerhand...
Copyright 1980 Gerd Schinkel
Das Journalisten-Lied ist eher aus der Insider-Sicht geschrieben. Nach Abschluss meines Jurastudiums an der Uni klappte ich dieses Kapitel zu und begann ein Volontariat bei der Kornwestheimer Zeitung. Während dieser Ausbildung hatte ich die Gelegenheit, auch mal die Arbeitsweisen der Redaktionen einer großen, überregionalen Zeitung zu erleben und war sechs Wochen bei den „Stuttgarter Nachrichten“. Mein Eindruck: Es sind jede Menge Paradiesvögel in dem Metier.
Beispiel: Anfang der achtziger Jahre, auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen in Polen um die Gewerkschaft Solidarnosc, veranstaltete die ÖTV einen „Tag der Polen-Solidarität“, bei dem auch der gewichtige Gewerkschaftsboss Heinz Kluncker gewichtige Worte verlor. Was er genau sprach, darüber informierten am folgenden Tag die (im selben Verlag erscheinenden, daher Meinungsvielfalt gewährleistenden) ortsansässigen Zeitungen, die hochkarätige Reporter hingeschickt hatten. In der „Stuttgarter Zeitung“ schrieb der Lokalchef etwa sinngemäß: „Kluncker sagte, wer über die Situation in Polen klage, müsse genauso deutliche Worte der Kritik über die Zustände in El Salvador oder in der Türkei finden.“ In den „Stuttgarter Nachrichten“ zitierte der Politikchef in seinem Artikel den ÖTV-Boss so: „Wer über die Zustände in El Salvador oder in der Türkei klage, müsse ebenso deutliche Worte über die Situation in Polen finden.“ Verwirrt über diese Vielfalt in der Darstellung griff ich zur „Frankfurter Rundschau“, die auf das Korrespondentenangebot der Deutschen Presseagentur zurückgegriffen hatte. Dort stand nun: Kluncker sagte: „Wer über die Situation in Polen klage ... Und wer über die Zustände in El Salvador oder in der Türkei ...“
Vermutlich war es, so war meine Überlegung, eine Folge der Hektik in diesem Beruf, dass die Reporter der beiden Stuttgarter Blätter jeweils
den einen oder den anderen Aspekt weggelassen hatten - mehr wollte ich nicht unterstellen. Um der Hektik Ausdruck zu verleihen, die in diesem Beruf steckt, komponierte ich zu dem Liedertext eine
Polka. Geschrieben 1980.