Ich muss

 

Ich sitz auf meinem Sitz,

seh aus dem Fenster so bequem,

denk an mein letztes Eis

und ob ich was zu trinken nehm.

Wir überholen einen Bus

und ein paar Leute winken.

Ich wink ihnen zurück

und dann will ich ein wenig trinken.

Da merk ich, dass es besser wäre,

wär der Vorrat knapp.

Ich fange an zu zappeln

und klemm mir beinah was ab.

 

Ich muss - weil irgend etwas in mir drängt.

Ich muss - irgend etwas ist beengt.

Ich muss - irgendwas muss aus mir raus.

Ich muss - und kann nicht warten bis Zuhaus.

Ich muss - hab keine Zeit, um lang zu warten.

Ich muss - sonst mach ich hier gleich in den Garten.

Ich muss - wo ist der vorgesehne Raum?

Ich muss - sonst reicht mir auch der nächste Baum.

 

Wir können wieder fahren,

bin erleichtert und befreit.

Das Ziel rückt immer näher,

ist es auch noch immer weit.

Die Sonne brennt aufs Dach,

es brennt genauso in der Kehle.

Ich brauch schnell was zu trinken,

weil ich mich so schrecklich quäle.

Da spür ich, es wär vorteilhafter,

wär die Flasche leer –

wenn der nächste Parkplatz

doch bloß schon was näher wär...

 

Ich muss - klemm eng zusammen Bein und Bein.

Ich muss - und wenn es sein muss, muss es sein.

Ich muss - denn meine Blase ist so voll.

Ich muss - ich möchte, will und kann und soll.

Ich muss - ich kann es fast nicht mehr ertragen.

Ich muss - ich will ja hier nicht in den Wagen...

Ich muss - ich muss jetzt haben, was ich brauch.

Ich muss - sonst reicht mir auch den nächste Strauch...

 

Copyright  2002  Gerd Schinkel

 

Nach wochenlangen eindeutigen Anzeichen wie immenser Durst, heftiger Harndrang und rapider Gewichtsverlust, auf deren Bedeutung ich zunächst nichts geben wollte, erhielt ich im Sommer 2002 die Diagnose „Diabetes mellitus“. Ob Typ 1 oder 2 war allerdings unklar, weil ich Symptome für beide Typen aufwies. Seitdem muss ich Insulin spritzen, viermal am Tag und kann damit gut leben. Von den Symptomen geplagt immer nach der nächsten Toilette suchend, erinnerte ich mich an den Widerstand unserer kleinen Kinder, prophylaktisch aufs Klo zu gehen - um dann bald zappelnd die Beine zu kreuzen...