Museum

(MoMa-Ausstellung in Berlin, letzter Tag)

 

Muss ich ab in die Ecke und mich schämen,

weil ich so ein Banause bin?

Soll ich mich vielleicht bedauern oder grämen,

weil ich lieber zu Hause bin?

 

Wenn einer kommt und mir sagt:

„Geh da unbedingt noch rein. Das musst du sehn.“

Weiß ich genau, was mich erwartet,

deshalb will ich lieber gar nicht gehn.

 

Denn ich kann Kandinsky nicht verstehn.

Vielleicht würd man das Bild mal drehn...

Weiß nicht, warum ich an dem nichts find.

Und ob Matisse für mich was is,

vor der Frage hab ich Schiss.

Dabei bin ich nicht mal farbenblind...

 

Brauch wohl einen, der mir sagt, was ich seh,

wenn ich es nicht erkennen kann.

Wenn ich durch die Räume geh, davor steh,

weiß ich nicht, wo fang ich an.

 

Wenn einer rät und mir sagt:

„Geh da unbedingt noch hin, sieh dir das an!“

Weiß ich schon, was passiert,

deshalb stell ich mich erst gar nicht an.

 

Ich find zu Klee keinen Dreh.

Egal, wie lang ich vor dem steh.

Weiß nicht, warum ich an dem nichts find.

Sag bei Miro voll Staunen: „Oh!“,

und bei Rousseau vielleicht: „Soso...“

Dabei bin ich echt nicht farbenblind.

 

Ob der Cezanne wohl was kann,

sehn andere dem vielleicht ja an.

Weiß nicht, warum ich an dem nichts find.

Und halt Picasso und Chagall

stellenweise für zu prall.

Doch vielleicht bin ich ja farbenblind.

 

Vielleicht geh ich in die Volkshochschule,

denn die bieten einen Kursus an.

Und steh nicht mehr wien Ochs vorm Berg,

der nix begreifen kann.

 

Wenn einer sagt: „Das ist toll!“,

frag ich nicht, was ich da soll und geh da hin.

Und steh da in der Schlange

und bin irgendwann bestimmt auch drin.

 

Ist das ein Monet, den ich da seh?

Oder doch ein van Gogh?

Weiß nicht, wo ich die Erklärung find.

Sag dann zu Dix erst mal nix.

Fall auf die Knie vor Dali.

Und bin froh, ich bin nicht farbenblind.

 

Copyright 2004 Gerd Schinkel

 

Bei einem privaten Konzert in Berlin am Vorabend des letzten Tages der hoch gepriesenen „MOMA“-Ausstellung („Museum of modern Art“ aus New York) erhielt ich die dringende Empfehlung, mir diese letzte, doch so einmalige Chance nicht entgehen zu lassen. Mein Einwand, dass ich keine Lust hätte, mich stundenlang in einer Schlange anzustellen, wurde mit einem Verweis auf meinen Presseausweis entkräftet. Ich habe mir also am letzten Tag die MoMa-Ausstellung angesehen und war einerseits von der Kunstbegeisterung so vieler Menschen vor dem Eingang beeindruckt, aber auch von der dort ausgestellten Kunst, auch wenn ich mir manche Werke schlicht und einfach nicht erschließen konnte. Ich habe mich gelegentlich als Betrachter überfordert gefühlt, aber es wäre gewiss ein falsches Kunstverständnis, wollte man von Künstlern erwarten, dass es ihr wichtigstes Ziel sein müsse, sich einem Publikum vollständig verständlich zu machen. So gesehen bleibt mir kaum eine andere Wahl, mich in mein Banausentum zu fügen und darauf zu hoffen, auch dafür Verständnis zu finden. Man kann doch schließlich nicht alles verstehen, geschweige denn genießen müssen, was mit dem Etikett „Kunst“ versehen wird. Gelegentlich erinnern geflissentliche Beweihräucherungen in der Szene mich zumindest an die devoten Komplimente für des Kaisers neue Kleider…