KRIEGSALLTAG                                                   e/2
 
Sie steht am Küchenherd, ist so früh noch nicht gekämmt,                 eD9GH8
um Kaffee aufzusetzen: Immer noch im dünnen Hemd.                     a6H8CD9
Sie blickt aus ihrem Fenster in die Trümmer vor dem Haus,               eD9GH8
schräg die Straße gegenüber und die Ruine geradeaus,                    a6H8CD9G
als die Rakete einschlug - eine Weile jetzt schon her.                        a6D9Ge
Schrecken und Entsetzen, die vergisst sie wohl nie mehr.                  a6H8CD9
Und sie weiß, sie ist nicht sicher, jederzeit kann was passiern.             Ga6H8C
Sie kann in jedem Augenblick ihr Leben hier verliern.                         Ga6H7e
 
Er steht im Bad vorm Spiegel und hat sich schon halb rasiert,
seinen müden Blick bemerkt, wieder sein Alter registriert.
Der Alarm kommt aus der Ferne, lässt sich von keinem überhörn.
Den Rasierer in der Hand, lässt er sich auch dadurch nicht störn.
Als ob man mit der Zeit an die Bedrohung sich gewöhnt,
Ängste ganz normal sind, man nicht mal mehr drüber stöhnt.
Und er weiß, er ist nicht sicher, jederzeit kann was passiern.
Er kann in jedem Augenblick sein Leben hier verliern.
 
Ihre Mutter ist gebrechlich, kommt allein nicht aus dem Bett, 
und käme nie allein zurecht, wenn sie nicht die Tochter hätt‘.
Sie kann sich nicht mehr anziehn und vergisst auch vieles schon,
und reagiert mit Zittern auf jede nahe Explosion.
Beruhigt von der Tochter hält sie sich dann an ihr fest,
kann es nicht ertragen, wenn man sie alleine lässt.
Ahnt sie die Gefahr - jederzeit kann was passiern,
Sie kann in jedem Augenblick ihr Leben hier verliern.
 
Ihr Onkel irrt verzweifelt durch die Zimmer hin und her, 
Wo er grade warum ist, das weiß er längst nicht mehr. 
Er erzählt von früher, doch weiß nicht mehr, wann es war.
Erkennt die Schwester nicht mehr und lässt niemanden mehr nah.
Seine Pillen sind nicht lieferbar, auch wenn man sie bestellt.
Er läuft durch jede Tür raus, die man nicht verschlossen hält,
weiß nicht, dass er nicht sicher ist. Jederzeit kann was passiern
Er kann in jedem Augenblick sein Leben hier verliern.
 
Sie hören Drohnen fliegen und die Bomben detoniern.
sind zu gelähmt vor Angst, um ihren Alltag zu sortiern.
Allein davon zu träumen, wie man sich im Frühling sonnt,
unbeschwert und angstfrei – haben sie das je gekonnt?
Sie denken unentwegt an Vater, Bruder, Mann und Sohn, 
die weit weg an der Front - wärn sie doch nur zu Hause schon.
Jeder weiß, niemand ist sicher. Jederzeit kann was passiern.
Sie können jeden Augenblick ihr Leben hier verliern.
 

 

© 2024 Gerd Schinkel