Blütenneid

 

 

 

Hortensie und Glyzinie gerieten in nen Streit,

 

wer wohl am schönsten blühen kann und auch die längste Zeit.

 

Die eine drängt nach oben hoch, die andere macht sich breit,

 

und was sie auf die Palme trieb, war purer Bütenneid.

 

 

 

Glyzinie wuchs steil ins Blaue, wenn auch gut gestützt.

 

Sie klammerte sich fest, war überzeugt, dass es ihr nützt.

 

Dann, als es nicht mehr höher ging, ihr keine Stütze blieb,

 

da strebte sie zur Seite mit so manchem raschen Trieb.

 

 

 

Hortensie, die fächerte sich grün am Boden auf,

 

ging in die Breite, satt und voll, sah zur Glyzinie auf,

 

die erste lila Blüten zeigte, hoch an dem Spalier,

 

verteilt über der Pergola als zarte Frühlingszier.

 

 

 

Das wurmte die Hortensie in Blütenlosigkeit.

 

Sie brauchte zum Erblühn wie mancher etwas mehr an Zeit.

 

Sie drehte sich zur Sonne, stand auf eignen festem Fuß,

 

beizeiten eingestellt auf einen eignen Blütengruß.

 

 

 

Glyzinie erblühte prachtvoll, reckte sich empor,

 

doch bald schon sie die ersten Blütenblätter auch verlor.

 

Sie regneten nach unten, federleicht im Schwerkraftsog. -

 

Hortensie sich immer noch nicht unter Blüten bog.

 

 

 

Als dann auch der Hortensie die Blütenpracht erwacht,

 

da hatte die Glyzinie längst Sauerei gemacht

 

und ihre lila Blütenblätter unter sich verstreut.

 

Sie wurden aufgekehrt, weil über die sich keiner freut.

 

 

 

So war es die Hortensie, die wohl zuletzt gelacht.

 

Sie stand den ganzen Sommer bis zum Herbst in ihrer Pracht.

 

Glyzinie versuchte zwar noch mehrmals aufzublühn.

 

Dies Ansinnen erschien jedoch Hortensie sehr kühn.

 

 

 

Und waren alle beide dann verwelkt im späten Herbst,

 

da wurde dem Betrachter klar: Genauso ging’s ihm selbst.

 

Wer sich um seine Schönheit sorgt, sich überflüssig stresst.

 

Man blüht auf von allein, wenn man sich einfach wachsen lässt.

 

 

 

Copyright 2017 Gerd Schinkel