HEILIGABEND

 

 

 

Der Baum auf dem Balkon ist noch vom Netz umhüllt

 

und steht in einer Ecke angelehnt.

 

Man stellt ihn in den Fuss. Die Schere teilt das Netz.

 

Schon hat er sich im Zimmer ausgedehnt.

 

Die Hände, die ihn trugen, sind klebrig nun vom Harz -

 

wenn er sich wehrt, dann so auf seine Art.

 

Er ahnt, die nächste Zeit wird er sich selber fremd.

 

Mit eingeklemmtem Fuss stehn, das ist hart.

 

 

 

Refrain:

 

Jede Tanne, jede Fichte hat ihre eigene Geschichte,

 

erzählen könnt sie aus der Zeit im Wald.

 

Eng stand sie in der Schonung, nun in einer engen Wohnung,

 

wo es zu warm ist, Nadeln fallen bald...

 

 

 

Der Baum steht auf dem Boden auf einer Decke aus Papier,

 

sorgfältig hat man Parkett bedeckt ,

 

dass keine Weihnachtskerze, die - weil sie schief steht - tropft,

 

auch ja den teuren Boden nicht befleckt.

 

Die Kerzen werden nun mit Haltern festgeklemmt.

 

Sie ragen hoch, mal senkrecht, manchmal schief.

 

Die Kugeln hängen bald: Geerbter Weihnachtsschmuck,

 

der leicht kaputt geht, fällt er plötzlich tief.

 

 

 

Umrahmt von den Figuren wird die Krippe aufgestellt.

 

Drei Könige stehn noch im Hintergrund.

 

Sie sind noch unterwegs, auf ihrem weiten Weg.

 

Geschenke stapeln unterm Baum sich bunt.

 

Es dämmert und wird windig und Nieselregen fällt.

 

Von fern der Glockenklang der Kirche schallt.

 

Die Erbstücke am Baum zeigen Glanz im Kerzenlicht.

 

Voll Andacht singt ein Chor aus jung und alt...

 

 

 

Copyright 2019 Gerd Schinkel