Der Ordner
Aufeinandergestapelt, gelocht und sortiert,
der Reihe nach, ganz genau wie es passiert,
das älteste unten, und dann immer drauf –
das Neue gleich vorn, mach den Deckel nur auf,
schon hast du’s vor Augen, siehst auf einen Blick,
vom gelochten Papier nur das oberste Stück.
Akten mit Fakten, und manch Dokument,
das Wahrheit und Lügen nicht vollständig trennt,
wo schwarz auf weiß steht, was gewiss so nicht stimmt,
wenn man weiß, wie es war, und man nimmt’s, wie man’s nimmt
Was hat mehr Geduld als ein Fetzen Papier –
dem egal sein kann, glaubt man nun ihm oder dir…
In den Annalen stehn trockene Zahlen,
von Menschen und Orten, und glaubt man den Worten
Notizen und Daten von ruhmreichen Taten,
dann hat man ein Bild – aber
weiß man damit auch, was es gilt…
In langen Regalen aneinandergereiht,
verwahrt was gewesen im Spiegel der Zeit,
vor dem Verlust, dem Vergessen bewahrt,
was nicht wohlgelitten gekonnt ausgespart,
und was nicht sein sollte, ist auch nicht geschehn:
Da ließ sich was streichen und dort etwas drehn…
Befleckt und beschädigt, beschmutzt und beschmiert,
manches sich zwischen den Zeilen verliert,
zerknittert, zerfleddert, zerfressen, zerfetzt,
und was in den Lücken fehlt selten ersetzt,
und was man nicht wissen soll, steht auch nicht da,
weiß einer die Wahrheit, weiß einer was war?
Copyright 2012 Gerd Schinkel