Schon wieder: Ein neuer Abgesang auf die Zunft der Liedermacher

Fragwürdige Seligsprechungen und Totsagung

SZ-Feuilletonist Hilmar Klute verkündet das "Ende der Akkordarbeit"

Degenhardt gestorben, Kreisler beerdigt, Hirsch verblichen – Himmel, da muss aber einem der SZ-Feuilletonisten der kreative Schock in die Glieder gefahren sein, dass er glaubt, diese doch schon längst totgesagte Zunft noch mal zu Grabe tragen zu müssen. „Das Ende der Akkordarbeit“ verkündet Hilmar Klute im ganzseitigen Aufmacher der Wochenendbeilage der “Süddeutschen Zeitung“ vom 10./11. Dezember und unterstellt, die klampfenden Phänomene des seltsamen Gewerbes „Liedermacher“ seien ob ihres Abtritts eines Nachrufs würdig. Was macht ihn so selbstbewusst, dass die Totgesagten gerade seinen Abgesang verdienten? Hat er auch ein paar alte Schallplatten im Schrank?

 

Versagen wir uns die Würdigung seiner Elogen auf die Hingeschiedenen, von denen er vor allem Degenhardt herausgreift, um ihn im gleißenden Licht der Vergangenheit den gegenwärtigen Liederpoeten deutscher Zunge in all ihrer Unzulänglichkeit zum leuchtenden Vorbild zu erklären. Degenhardts Qualitäten sind hinlänglich gefeiert, bedürfen keiner Beweihräucherung, die vor einer kritischen Würdigung standfester Linientreue in Zeiten des kalten Krieges und später auftauenden Friedens zurückschreckt.

 

Väterchen Franz-Josef war, wie er war und musste eben genommen werden, wie er gewesen ist – oder man ließ ihn eben (etwa auch als undogmatischer linker Liedermacher ohne Parteibuch nach seinem Eintritt in die DKP und damit seiner Preisgabe der gedanklichen Unabhängigkeit) links liegen, was nicht die Verweigerung einer Wahrnehmung war, sondern die Unlust einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit noch einem Barden aus der Riege der „Kaiser-Geburtstags-Sänger“.

 

Alle drei – Degenhardt, Kreisler und Hirsch -, so Klutes These, seien für etwas eingestanden, das in der Geschichte der deutschsprachigen Populärkultur einmal einen hohen Wallungswert besessen habe: Die Fortsetzung der Politik mit den Mitteln der musikuntermalten Sprache, des öffentlichen Agitations-Entertainments, bei dem das Wort mächtig, die Stimme rau und die Gitarre eine Waffe gewesen sei.

 

Ja weißwerauchimmerundwoauchimmer - wer es so sieht, mag es auch genießen, durch die „Kulturschützengräben“ längst vergangener Epochen zu krauchen, längst der Fähigkeit verlustig gegangen die Nase mal hochzurecken, um nach dem Horizont zu spähen – geschweige denn über ihn hinaus. Wer sein Interesse auf die Altvorderen konzentriert und sich mit dem zufrieden gegeben hat und immer noch gibt, was die Tonträger-Industrie sich so aus Geschäftsinteresse herausgepickt hat, der hat wahrlich nicht viel Auswahl und vermutlich gar keine andere Wahl, als das schmale Angebot an Qualität und Substanz zu beklagen. Fürwahr aber – ein fragwürdiger Mut zur Lücke im Zeitalter von YouTube und MySpace.

 

Doch wer glaubt, seine Fach- und Szenekenntnis in der Gegenwart damit nachweisen zu können, dass er Fanny van Dannen und Rainald Grebe quasi mit Qualitätszertifikat adelt, daneben aber als einzige erwähnenswerten Zunftvertreter nur noch Gisbert zu Knyphausen und Jochen Distelmeyer zu Herbstmusikern ernennt, die den Altbarden kaum das Wasser reichen könnten, und die erkleckliche Riege derer, die die Szene seit Jahr und Tag bevölkern, totschweigt, der kann sich mit einem verfrühten Abgesang auf ein totgesagtes Genre nur selbst blamieren.

 

Man muss sie nicht alle mögen, die da immer noch oder inzwischen gelegentlich die Bühnen der Kleinkunsttheater und Kulturzentren, der Szenekneipen und Stadtteil-Gemeindehäuser entern, um mit eigenen Liedern in mehr oder weniger ausgefeilten Texten und Melodien auf die Zeitläufte zu reagieren – in „Akkordarbeit“, die Klute mirnichtdirnichts für beendet erklärt, ohne sich darum zu scheren, dass es da immer noch „Werktätige“ gibt, „die ihre Schichten kloppen“. Aber wenn Mögen auch zuviel verlangt wäre - die Zurkenntnisnahme ihrer Existenz ist ein Gebot der Ehrlichkeit und des Respekts.

 

Nichts gegen einzuwenden, dass man den Hinterlassenschaften der Hingeschiedenen hörenswerte Qualitäten bescheinigt. Doch man verharrt im Schema derjenigen, die rasant ins Greisenalter wachsen und dabei unfähig werden, im Vergleich mit Vergangenem auch Gegenwärtiges wertzuschätzen. Dass früher eben alles besser gewesen und nichts vergleichbar Gutes nachgekommen sei, bleibt dann eine wohlfeile These, die mehr über denjenigen aussagt, der sie vertritt, als über den Gegenstand der Betrachtung.

 

Natürlich liegt es nahe, dass man bei Verwendung des Begriffs „Liedermacher“ handwerkerzünftig weiter formuliert, als ob sich Poesie und Lyrik, Kompositionen und Arrangements werkstattmäßig so erschließen ließen, dass selbst talentfrei und ohne Kreativität Meisterliches dabei herauskommen könnte. Man schmort im Saft der eigenen Engstirnigkeit und gart im Sud der gepflegten Vorurteile, wenn man nicht bemüht ist, sich im eigenen Verhalten vom Vorbild der drei Affen zu lösen.

 

Wer nicht sehen will, wie vielfältig die gegenwärtige Szene ist – kaum geringer als es die frühere war, wenngleich weniger medial gepflegt und in den Feuilletons wahrgenommen -, wer nicht hören mag, wie vielseitig und facettenreich das Gesamtrepertoire derer ist, die sich heute Lieder schreibend und singend und auf Zeitläufte reagierend im Genre bewegen – kaum weniger leidenschaftlich und kreativ als die Altvorderen, die als Nacheiferer eines Georges Brassens oder Tom Lehrer, oder auch eines jungen Bob Dylan beileibe nicht das Rad neu erfunden hatten, der verschließe – wie der dritte Affe – seinen Mund mit beiden Händen. Denn es kann nichts von Substanz dabei herauskommen.

 

Wer allerdings doch dem Drange nachgibt, sich trotz lückenhafter, kaum rudimentärer Sachkenntnis ätzend nachrufend zu ergießen, der pflegt in der Tat als Feuilletonist phänomenal ein seltsames Gewerbe. Ein Schreibprogramm im PC, fünf, sechs gedrechselte Formulierungen und unerschöpfliche Häme – ganz so einfach funktioniert das gepflegte deutsche Feuilleton nun doch hoffentlich auch nicht.

 

Gerd Schinkel, 14.12.2011

 

 

 

 


Das Mantra der Ignoranten:

Liedermacher gibt's kaum noch

Falsche Thesen und Vorurteile halten sich, wenn man ihnen nicht widerspricht

Und wieder mal wird sie genussvoll verbreitet: Die flüssig über die Zunge gehende These, dass es nicht mehr viele Liedermacher gebe im Land – „nicht mal mehr eine Handvoll“, sagt Hannes Wader ins Interview-Mikrofon. Früher war eben alles noch anders. Quasi nur die alten Kumpane Degenhardt und Mey mag Wader noch neben sich gelten lassen, als ob er nicht mehr über drei hinaus zählen könne.

 

So wird geschwätzig und ohne nachzudenken von ausdauernd tourenden Kollegen abgenickt, was von selbstverliebten Journalisten als gern genommene Arbeitsthese immer wieder vorgekramt wird - was diese These aber mitnichten richtiger macht. Selbst diejenigen stimmen in den Chor ein, die’s besser wissen könnten und sollten. Eigentlich wissen sie es ja auch nur zu gut. Aber vielleicht wollen sie es nicht wahrhaben, oder zumindest der These gar nicht widersprechen. Vielleicht, weil man sich als Monopolisten im Anspruch auf die Berufsbezeichnung „Liedermacher“ eben besser vermarkten kann? 

 

Und dann werden von den „Szene-Kennern“ in den Redaktionen noch zögerlich und ein wenig umfangreicher, wohl aus ihrer Sicht nahezu komplett, wenn nicht kompletter doch ein paar mehr Liedermacher aufgezählt: Die Altvorderen Degenhardt, Süverkrüp, Biermann, Wader, Mey. Schobert lebt ja nun nicht mehr, aber immerhin doch noch der Black. Dann als einzige Nennenswerte aus der zweiten Generation natürlich zuerst der Wecker, Klaus Hoffmann noch. Importiert werden die Österreicher Heller und Danzer (auch der lebt nicht mehr), Herman van Veen genauso important. Und dann holt man sich noch – quasi als Alibi aus der Gegenwart - mit der Wünschelrute zwei „neuere“ Künstler mit Berührung zur der Kabarett-, wenn nicht gar Comedy-Szene: Thomas Pigor, Funny van Dannen und Rainald Grebe, der sich auf seiner eigenen Homepage als „Expressionist unter den deutschen Comedians“ anpreist. Liedermacher? Will das heute noch jemand sein?

 

Mehr gibt’s also nicht. Jedenfalls niemanden sonst, der noch erwähnenswert wäre. Wenn’s nach diesen selbst ernannten Fachleuten geht, soll’s das wohl tatsächlich gewesen sein, was sich deutschsprachig bemerkenswert in der Szene tummelt. Jenseits deutscher Grenzen wird die Szene dieses Genres von Singer/Songwritern, Chansonniers oder wie auch immer genannten Barden beeindruckend bevölkert.

 

Gute Interpreten eigener Lieder finden selbstverständlich ihre Anerkennung – auch hierzulande, sofern sie nur aus dem Ausland kommen und man sie erst in Prosa übersetzen muss, damit man verstehen kann, was sie singen. Jawoll, so wird Lyrik zum Erlebnis, und dann noch gesungen, mit so einer Stimme, und dann noch dazu das Instrument. Schade, dass es solcher Künstler nicht bei uns gibt… Echt nicht...

 

Liedermacher - natürlich links und engagiert –„, so heißt es dann erinnernd, dabei viel wissen wollend und viel sagend in der Ankündigung der Radiosendung, „sie gehörten in den 70er und 80er Jahren dazu. Die Waders, Degenhardts und Danzers hätten die großen Hallen gefüllt, und bei Konzerten sei„nicht konsumiert, sondern diskutiert worden...“ Aber klar doch – genau dafür hatten die doofen Leute ja gerne Eintritt bezahlt!... So ein Unfug...

 

Natürlich hat es im Publikum auch mal Störenfriede gegeben, die Konzerte umfunktionieren wollten. Für Künstler, die sich leichtfertig an unübliche Orte hatten locken lassen, auf Konzertveranstaltungen angewiesen waren, keine leichte Herausforderung. Hanns Dieter Hüsch hatte schlimme Erfahrungen machen müssen. Manche Künstler haben sich gelegentlich auch mutig auf einen Wortwechsel eingelassen, aber nicht immer und nicht überall, und schon gar nicht trafen alle Nase lang Träumer auf Ideologen, wie in absichtlicher nostalgischer Verklärung behauptet wird. Man lebte nebeneinanderher in dieser Szene und traf sich höchstens auf der Burg Waldeck, hatte aber sonst wenig Gelegenheiten, sich auszutauschen Und allzu groß war das Interesse daran wohl auch nicht, denn sonst hätte man selbst doch mehr Möglichkeiten gesucht und geschaffen.

 

„Politische Zeiten“ habe man gehabt:„Anti-Atom, Friedensbewegung, Solidarität mit der Dritten Welt“. Und dann kommt’s fachmännisch: „Viele der Barden, die damals beeindruckt von französischem Chanson und amerikanischem Protestsong zur Gitarre griffen, sind längst vergessen. Zum Glück, werden die Spötter sagen, die die Zunft von Anfang an mit Häme übergossen.“

 

Ach ja – da sind sie wieder, die Besserwisser von heute, die der so genannten Zunft ohnehin eher desinteressiert bis ratlos gegenüberstehen. Kann man von ihnen mehr erwarten als Häme und Ignoranz?

Klar, 40 Jahre nach 68, weil es ja oberflächlich so gut zusammenpasst – macht sich eine Serie über die vergangenen Zeiten der alten Liedermacher deutscher Zunge sehr gut im Radio, und dazu gibt sich ein Moderator kompetent, der doch tatsächlich das erklärte Vorbild vieler deutscher Liedermacher der ersten Stunde und größten aller französischen Chanson-Sänger seines „s“ am Ende des Namens beraubt: Junge, der Mann heißt Brassens, vergiss doch nicht am Ende das „s“ …

 

„Bei anderen Liedermachern – den nicht vergessenen - hat sich die Produktion als äußerst zeitlos erwiesen. Ihnen widmet sich (die Sendung) Streng Öffentlich in sieben Folgen und schöpft aus dem Vollen: Dialekt und Dialektik, Klamauk, Protest und Liebeslyrik.“

 

Lassen wir dies mal so stehen und nehmen einfach mal an, dass es eine Überforderung der Redaktion sein könnte, hier nun zu erwarten, dass das Interesse über dieses halbe Dutzend ewig wiederholter Namen deutlich hinausgeht. Es ist ja in Ordnung, wenn wenigstens die mal wieder zu hören sind.

 

Und dann die Anpreisung: „Ein schönes Wiederhören für alte Fans und die Chance für Neueinsteiger!  Die erste Folge widmet sich zwei Klassikern: Wolf Biermann und Hannes Wader – der singende Politiker und der politisierte Träumer.“

 

Mal neugierig gefragt: Wieso wird eigentlich ein Wolf Biermann nicht auch oder sogar zu allererst als das vorgestellt, was er immerhin ist: Träger des wichtigsten deutschen Literaturpreises, nämlich des Büchner-Preises. Man hat es bei ihm mit einem Künstler zu tun, einem Autor von, wenn schon vielleicht nicht internationalem Rang, dann doch zumindest internationalem Ruf. Dies zuzugestehen sollte ein Gebot der Lauterkeit sein, selbst wenn man inhaltlich nicht mit ihm übereinstimmt oder sich von Biermanns Eitelkeit abgestoßen fühlt. Ein singender Politiker? Nein: Ein politischer Sänger. Doch Etikette passen ja so schön: Der singende Politiker und der politisierte Träumer…

 

Auch Hannes Wader ist ein Künstler – so sehr ein Wolf Biermann daran vielleicht auch Zweifel anmelden mochte, weil ihm eine Gleichsetzung auf künstlerischer Ebene zwischen einem Büchner-Preis-Träger und „singendem Wandervogel“ nicht passt, einem anders sozialisierten Kollegen, der sich von SED-Ablegern zunächst hofiert und anschließend politisiert wurde, und der in seiner Weltverbesserungs-Träumerei lange nicht mitbekam, wie er in der sich überstürzenden Phase von Glasnost und Perestroika von seinen bauchpinselnden Genossen schlichtweg vergessen wurde. Nun hat er – künstlerisch imponierend – auch dies längst verarbeitet und singt immer noch für Fortschritt und Völkerverständigung. Respekt. Ein politisierter Träumer? Wenn es nur mehr davon gäbe, statt von zynischen Reimdrechslern oder hämischen Komödianten, die lieber einen Kollegen in die Pfanne hauen als auf einen Gag verzichten (Hagen Rether beispielsweise in seiner geschmacklosen Nummer über Herbert Grönemeyer).

 

Reflektionen wie diese nähren Skepsis an der Kompetenz derer, die die Spezies der Liedermacher auf eine Weise vorstellen, die sich nur wenig von der unterscheidet, wie sie pauschal von „Niedermachern“ der Liedermacher gepflegt wird, und die gibt es ja zu genüge. Doch wozu auch Kompetenz... In den Redaktionen, die früher mal als Spezialisten für den Sektor „Unterhaltung Wort“ dafür zuständig gewesen sind, hat sich das Interesse an inhaltlich anspruchsvollen Lieder ohnehin weitgehend verflüchtigt. Wer dort noch bestehen will, muss eben auf die Kacke hauen, dass es spritzt (wie Hagen Rether in seiner Grönemeyer-Nummer).

 

Das Interesse an guten Liedern, in denen nicht nur ein geschmackloser oder müder Gag an den anderen gereiht wird, ist irgendwie abhanden gekommen, ist untergegangen in der Angebotsflut der Comedians und der freischaffenden Gag-Lieferanten für die durchgestylten Magazinformate. Und wenn mal – in den gern mit Exotischem gefüllten Sommermonaten - ein Rest an Programmplätzen übrig bleibt, kann man sie vielleicht auch mal wieder mit deutschsprachigen Liedern solcher Leute füllen ließen, die sie selbst geschrieben haben. Man kann dann ja auch auf diejenigen zurückgreifen, die wenigstens lustig sind. Und schon wird wieder mit der Messlatte der Comedians in der Szene herumgestochert. Aber Spaß ist eine relative Sache, denn nicht jeder hat ihn mit jedem und an allem...

 

Journalistische Seriosität in der Verifizierung von Thesen („Es gibt kaum noch Liedermacher außer den alten...“), die man einfach unhinterfragt übernimmt, wenn es an eigener Kompetenz mangelt, erweist sich anders. Die Mittel sind heute doch so einfach: Man muss nur mal das Wort eingoogeln, das man so rechtschaffen einkreisen will: „Liedermacher“. Man stößt auf 1 360 000 Einträge. Die werden doch nicht alle nur zu den oben genannten „großen“ Namen sein...

 

Wer’s wirklich wissen und auch darstellen will, kann es sich problemlos erschließen: Es gibt  eine zweite, dritte, vierte Generation der Liedermacher – weiß der Geier, bis zur wievielten man sich inzwischen durchzählen kann. Dass ihnen das Publikum nicht mehr zuströmt, hat eine Reihe von Ursachen, aber nicht alle sind von den Liedermachern selbst gemacht.

 

Dass nicht alle Kolleginnen und Kollegen mit ihrer Schaffenskraft auf dem Gipfel der ihnen selbst zu wünschenden Qualität wirken – geschenkt. Nicht jeder muss als Autor eigener Lieder die Kunst der „Konkurrenten“ in gleicher Weise hochschätzen wie die eigene. Doch Zweifel an Qualitäten sind keine Zweifel an der Existenz oder der Existenzberechtigung. Die aber wird von Journalisten wie oben beschrieben gerne schlichtweg in Frage gestellt, wenn nicht gar bestritten – und dazu nutzt man dann gerne hingeplapperte Sätze beweihräucherter Liedermacher-Fossile: „Liedermacher? Gibt’s kaum noch ne Handvoll…“ ... jaja, nur noch ich und ich…

 

Dass sich Hörgewohnheiten des Publikums zwischenzeitlich mal ändern, entzieht sich den Einflussmöglichkeiten von Künstlern, zumal sie den Gegenwind aus den Produktmanagementabteilungen der Plattenfirmen sowie aus den Kreisen der ewig nach „Neuem“ gierenden Journalisten in den Funk- und Printmedien spüren. Manche dieser mittlerweile ergrauten Meinungsmacher sind seit Jahrzehnten zugange, oder inzwischen als Vorläufer derjenigen abgetreten, die sich heute legitimiert – weil angeblich kompetent – fühlen. Und diese neuen „Experten“ können heute schon genauso über das Genre „Liedermacher“ herziehen und über diejenigen, die aktuell das Fähnlein noch wacker hochhalten, weil sie eben gar nicht anders können.

 

Kunst entsteht oft genug aus innerem, nicht steuerbarem Antrieb. Nicht nur Wader hat Vergnügen daran, mit eigenen Gedanken, die in lyrischen Zeilen festgehalten und vertont sind, mit selbst geschriebenen und gesungenen Liedern gegen die Zeit anzustinken, gegen den Zeitgeist, den Mainstream, die Formatkultur – und gegen offenbar nicht auszurottenden Vorurteile auch: „Liedermacher gibt’s kaum noch“... ein Mantra der Ignoranten

 

Kolleginnen und Kollegen – lasst Euch nicht entmutigen. Wirken wir eben weiter in der Subkultur, bereichern wir – notfalls auch am Rande - Folk- und Weltmusik-Feste und erfreuen diejenigen mit unseren Liedern, die sie hören wollen. Und ob es die Kulturjournaille in Funk- und Printmedien nun glaubt oder nicht – es gibt diese Leute, die Interesse an unseren Liedern haben, und es sind mehr als es die Skeptiker wahrhaben wollen. Vielleicht  aber wissen diese Leute, die sich latent für gute Lieder interessieren, gar nicht, wie viele es von uns gibt, in der zweiten, dritten, vierten, weiß der Geier wievielten Generation.

 

Auch aus der ersten sind manche Kollegen wider besseres Wissen der „Fachleute“ in eine vermeintliche Vergessenheit geschubst worden: Beispielsweise ist der Poet und Liedermacher Christof Stählin immer noch da – und wie sogar!, mit neuen Liedern, genauso wie all die anderen, die es seit Jahrzenten gibt, und mit denen sich beispielhaft fast ein ganzes Alphabet füllen lässt:

 

Fred Ape, Frank Baier, Jan Cornelius, Helmut Debus, Klaus-André Eickhoff, Thomas Felder, Günter Gall, Kitty Hoff, Burkhard Ihme, Joana (Emetz), Gerd Köster, Werner Lämmerhirt, Manfred Maurenbrecher, Jo van Nelsen, Bernd Obermayr, Manfred Pohlmann, (Q lassen wir mal aus), Wolfgang Rieck, Gerhard Schöne, Barbara Thalheim, Thomas Uhlig, Lothar von Versen, Hans-Eckhardt Wenzel, (X und Y sparen wir uns), Michael Z, um mal nur Kolleginnen und Kollegen aus Deutschland aufzulisten. Wer mag, könnte gewiss ohne Probleme zu einigen Buchstaben noch eine Fülle anderer Namen nennen (unter dem Buchstaben „S“ könnte man mich dann auch einschieben...). Natürlich muss man nicht alle in gleicher Weise gut finden – aber deswegen muss man sie doch nicht ignorieren, ihre Existenz leugnen... und schon gar nicht gegenseitig.

 

Was tun? Muss man, soll man überhaupt was tun? Provoziert man nur neue Häme, wenn man sich mosernd zu Wort meldet und Ignoranz anprangert? Bekommt man dann automatisch zu hören, was auf diese Art Kritisierte und ihr Gefolge stets zu antworten pflegen, nämlich dass man ja wohl nur eingeschnappt sei, weil man eben keinen Erfolg habe, die Leute mit seinen Liedern nicht erreichen könne. Das Risiko geh ich mal ein: Man könnte beispielsweise mit Übersichten nachhelfen. Natürlich sind im Netz schon genügend Liedermacher-Auflistungen zu finden, aber wenn nun jeder Liedermacher auf seinen eigenen Internetseiten mal auf die große Fülle der Kolleginnen und Kollegen verweisen, Links setzen würde, könnte schon allerhand für die Verbreitung getan sein.

 

Liedermacher wird es immer geben, selbst wenn die „Experten“ in den Fachredaktionen mit vereinten Kräften weiter versuchen, das Genre totzureden und die Künstler, die es lebendig halten, totzuschweigen. Liedermacher brauchen deshalb auch nicht etwa „Rote Liste“ als vom Aussterben bedrohte Spezies, die man unter Naturschutz stellen muss. Aber eine „Grüne Liste“ könnte man anlegen – eine Liste zur Unterstreichung der Hoffnung, dass die Zeiten und die Wahrnehmung mal besser werden. Da könnte jeder Liedermacher drauf – Quantität vor Qualität, denn wer soll schließlich auch über die Maßstäbe befinden, an denen Qualität zu messen wäre. Da kommen wir doch gleich auf die Geschmacksebene, und über Geschmack kann man zwar streiten, aber es bringt nichts.

 

Also: Alle auflisten und so nachweisen, dass an Liedermachern kein Mangel ist.

Und noch etwas ließe sich vielleicht anstoßen: Huckepack-Konzerte, Doppel-Konzerte (Konstantin Wecker hat es mit Pippo Pollina vorgemacht: Ein „bekannter“ Künstler“ nimmt einen weniger bekannten mit auf die Bühne), Tourneen mit mehreren Künstlern, vielleicht selbst organisiert, mit geringer Gagen-Erwartung, aber mit Chancen auf öffentliche Wahrnehmung. Was die „Highwaymen“ mit Johnny Cash, Willie Nelson, Waylon Jennings und Kris Kristofferson vorgemacht, Hannes Wader, Konstantin Wecker, Reinhard Mey und Klaus Hoffmann auf die Beine gestellt, die „Monsters of Liedermaching“ mit ihrem Sechser-Pack zuwege gebracht haben, kann doch auch in anderer Zusammensetzung funktionieren.

 

Hat jemand Lust? Auch auf das Risiko hin, dass in den Feuilletons und Fachredaktionen die Nasen gerümpft werden. Was haben wir zu verlieren? Drohen kann uns doch nur, dass man weiter so tut, als wären wir nicht vorhanden, aber das ist ja nicht neu...

 

Gerd Schinkel, Juli 2008