Gerd Schinkel - Journalist

feuilletonistische "Daumenkritiken" aus dem Jahre 2008

zu Auftritten folgender Künstler:

 

Amber

Mike Brosnan

Luciana Caglioti

Gilla Cremer

Drama-Köln: "BIKINI"

David "Honeyboy" Edwardson

Jean Faure mit Orchestre

Thomas Felder

Terry Lee Hale

Biber Herrmann

Iontach

Klaus Lage

Paul Millns

Jörg Nassler & Dunja Averdung

Randy Newman Project (Manfred Maurenbrecher, Georgie Nussbaumer & Richard Wester)

Don Ross, Andy McKee & Ulli Bögershausen

Marcus Schinkel

Theater der Stadt Bonn: "Banalität der Liebe"

Theater der Keller: "Non(n)sens"

Steve White

Tony Joe White

 

Amber

acoustic cover

privates Revival-Konzert am 18.10.08 in Köln
Daumenkritik: doppelte Steilstellung

 
Eigentlich sind Revival-Konzerte ja eher was für Oldie-Bands aus den 60ern oder 70ern wie Smokie, Sweet, Uriah Heep, Marmelade, Status Quo oder die Fortunes, deren mittlerweile betagte Musiker – die Gründungsmitglieder sind oft in der Minderheit – sich den inzwischen aus ihrer Sicht durchaus lukrativen Luxus erlauben, auch in überschaubaren Stadthallen an Orten aufzutreten, von deren Existenz sie zu den Zeiten ihrer größten Erfolge nicht einen blassen Schimmer hatten. Da spielen sie dann vor ihren ebenfalls ergrauten Fans, die sich im Unterschied zu „damals“, als ihre martialisch geschminkten Lieblinge noch fett- und faltenfrei für Bravo-Poster posierten und sie selbst noch nicht auf Kalorien zu achten hatten, nun auch die teuren Eintrittspreise leisten können. Oft tut es tatsächlich dem Vergnügen keinen Abbruch, wenn man sich vor und auf der Bühne schwelgerisch in Nostalgie ergeht. So kann’s einem eben ergehen: Jaja, wir leben noch, wenn auch wiederbelebt und beleibt. „Revival“ eben.
Davon ist Amber weit entfernt. Die Cover-Band aus Köln, die vor zwei Jahren ihre Sängerin „down under“ verlor, hatte bedauerlicherweise keinen passenden Dreh gefunden, um ohne die in Australien Fuß fassende Gaby weiterzumachen. Schade, aber verständlich, wenn man mit der Gruppe ein Einsehen darin hat, lieber das Projekt auf Eis zu legen, als es im Krampf fortzusetzen.
Und dann signalisierte Gaby Borgardts Reiselust und kam auf einen längeren Känguru-Sprung über die Kontinente zurück nach Köln, zurück in den Probenraum und anschließend auch vors Publikum, und siehe da: Das Ergebnis hat den alten Zauber wiederbelebt und das Bedauern darüber verstärkt, dass eine Auswanderung nach Australien einer Ausweitung der Karriere dieser Ausnahmeband ein Ende setzte. Aus eben. Oder doch nicht ganz? Zumindest schien die Lust leicht reanimierbar, dem Kurzrevival in diesem Jahr in einem der kommenden Jahre einen weiteren Versuch folgen zu lassen. Spaß daran hätte gewiss nicht nur die Band.
In ihrem diesjährigen Revival-Konzert klang Amber jedenfalls frisch und pfiffig wie dunnemals. Die Coverversionen bekannter Hits sind im Amber-Arrangement oftmals interessanter und überraschender als die aufgemotzten Originale, denen es häufig an Charme und Schönheit fehlt. Wo es die Amber-Versionen schaffen, unter die Haut zu gehen, bleiben die Hits aus den Paraden oft im vollgepfropften Mainstream stecken und erreichen kaum das Innere der Gehörgänge. Genau das hatte Amber-Konzerte schon vor Jahren immer zu lange nachhallenden Erlebnissen gemacht. Man wird von diesem Revival lange zehren können – und wohl auch müssen. 

Mike Brosnan

"Kiwi"-Singer/Songwriter aus Neuseeland

Konzert am Sa., 6.9.2008 im Café Kram, Köln-Deutz
Daumenkritik: gereckt und gestreckt alle beide

 

Der in Darmstadt lebende Neuseeländer ist ein Singer/Songwriter der Güteklasse A. Seine hervorragenden Songs singt er bemerkenswert unprätentiös und spielt dazu beeindruckend Gitarre, mal diese, mal jene, aber nie überflüssig ausufernd, sondern stets so, dass es dem Song gut tut. Die verschiedenen Auszeichnungen und Preise, die er für sein künstlerisches Schaffen bislang einsammeln konnte, sind allemal verdient. 

Seine Musik füllt keine klaffende Lücke, das nicht. Aber sie schafft sich mit ihrer außerordentlichen Qualität auf selbstbewusste Weise Platz in einem Genre, das irgendwo zwischen Rock und Folk, zwischen Country und Blues angesiedelt ist und durchaus auch eine Eingängigkeit aufweist, die eher im popmusikalischen Bereich zu finden ist. Insgesamt gesehen drängt sich hier die Verwendung des Begriffs "roots music" regelrecht auf.  

Mike Brosnan schreibt Songs, die mit aufwendigerer Produktion und gefälligeren Arrangements, als sie einem Solist selbst mit allerbesten Fähigkeiten und Ausrüstungen möglich sind, durchaus das Zeug zu kommerziell erfolgreichen Kompositionen haben. Doch das Show-Biz hat ja seine eigenen Regeln, und die setzen zusätzlich auch noch gewaltiges Glück voraus, ehe ein Roots-Musiker von Brosnans Qualität selbst einen Hit landet. Mutmaßlich sind derartige Qualitätssongs in den Charts gar nicht gefragt und gewollt, schon gar nicht von Interpreten, die nicht den gängigen Klischees entsprechen und somit auch nicht beliebig austauschbar sind.

Doch Brosnan erweckt nicht den Eindruck, er ließe sich vom Mainstream von seinen eigenen Qualitätsmaßstäben abbringen. Seine Songs, die er in einer entspannten Kette wie Perlen aneinanderreiht, sind von gleichbleibender Klasse und seine Performance dazwischen ist kurzweilig. Sein Konzert bringt jedem Liebhaber dieses Genres einen sinnvoll genutzter Abend. Sowas mag man gerne wiederholen.

 

Luciana Caglioti

"Risotto all'italiana" der Journalistin und Schauspielerin Luciana Caglioti

Theaterstück  am 18.6.2008, Köln Arkadas-Theater, Bühnen der Kulturen, 
Daumenkritik: gerne doppelt hoch

 

Voller Überraschung steckt Luciana Caglioti, die italienische Journalistin in Köln, die seit Jahren im WDR "Funkhaus Europa" Erkenntnisse aus ihrem Tagebuch einer Italienerin in Deutschland offenbart: "Caro diario". Die in dieser Rubrik hörbar gemachten Alltagserfahrungen hat sie auch auf die Bühne gebracht: In einem eigenen Theaterstück von rund 70 Minuten Dauer. Eine echte Überraschung - und angenehm kurzweilig dazu.

Sich alleine auf eine Bühne zu stellen und länger als eine Stunde mit sich für andere zu füllen, ist kein leichtes Unterfangen. Doch Luciana Caglioti hat die Herausforderung angenommen und gemeistert. Sie hat mehr als genug Persönlichkeit, um die Bühne zu füllen, und auch genug zu erzählen, nicht nur aus ihren Erfahrungen als "Mitbürgerin mit Migrationshintergrund", die auch an der Freundlichkeit ihrer Freunde - deutsche wie italienische, Männer wie Frauen - zu knabbern hat.

Ihre "Knabbereien" vermittelt sie auf der Bühne mit südländischem Temperament: Mal erzählerisch, mal szenisch, mal musikalisch, aber stets direkt - und unterhaltsam, auch für diejenigen, die sich ertappt erkennen (müssten). Sie gibt dem Publikum die Chance, ihre eigene Empörung, ihre eigene Fassungslosigkeit zu teilen, quasi sich an ihrem Kopfschütteln zu beteiligen - und dabei noch herzhaft zu prusten, nicht nur über eine sinnentleerte Liebeslyrik aus einem italienische Schlager, mit dem sich hierzulande Howie in die Herzen seiner vornehmlich weiblichen Fans geschnulzt hat: "Ti amo". 

Luciana verpasst die Chance, auch noch Howie und seiner hinschmelzenden Gemeinde charmant eins reinzuwürgen, etwa so wie sie Toto Cotunio quasi szenisch entblättert, ehe sie den deutschen Männern an die geschmack-, aber nicht geruchslosen Socken geht. Sie bläst zwar ins bekannte Horn, wenn sie die germanische Kombination  Sandalen/Socken quasi zum primären teutonischen Unisex-Stammesmerkmal erklärt, doch mit ihrem hintersinnigen Plädoyer, beides ruhig so zu belassen und sich eben nicht an südländischen sockenlosen Sandalen-Gepflogenheiten zu orientieren, erweist auch sie sich als Ästhetin - als duftorientierte, die aus ihren Geruchserfahrungen in italienischen Umkleidekabinen gelernt hat, in denen sich zu viele sockenlose Sandalenträger umgezogen haben.

Empfehlung an ein interessiertes Publikum für künftige Gelegenheiten: Nicht verpassen. Und vielleicht das mitgelieferte Rezept probieren: Risotto all'italiana.

Gilla Cremer

"Warum das Kind in der Polenta kocht"

Eine Produktion des "Theater Unikate"
Theaterstück nach Aglaja Veteranyi am 11.6.2008, Brotfabrik Bonn
Daumenkritik: doppelte Hochreckung

 

Gilla Cremer ist ein Phänomen. Als Personifizierung des Unternehmens „Theater Unikate“ hat sie ihre Einzigartigkeit – die sie unzweifelhaft hat – zum Unternehmensprinzip erklärt. Gewagt – aber gewonnen. Sie führt mit leichter Hand den Beweis bei und mit jeder neuen Produktion. Sie, nur sie ist das „Theater Unikate“. 

Noch klingt ihr letztes Stück „So oder so – Hildegard Knef“ – ein liebevolles und ergreifendes, darum auch atemberaubendes Portrait der großen Knef – in der Erinnerung nach und rührt immer noch und immer wieder Emotionen hoch, da kommt sie mit einem neuen Stück: „Warum das Kind in der Polenta kocht“. Es ist auch eine Art Portrait, aber anders, völlig anders als die Knef-Hommage. 

Die porträtierte Autorin Aglaja Veteranyi hat ein gänzlich anders Leben gelebt, und sie hat ihr Leben in einer ungewöhnlichen Weise selbst beschrieben. Nicht dass es ungewöhnlich wäre, eine Autobiografie zu schreiben – doch das ungewöhnliche Leben dieser Frau, die sich mit 40 Jahren eben dieses Leben nahm, macht auch die Autobiografie zum Unikat: 

Die Autorin, Spross einer  rumänischen Artistenfamilie und im Zirkusmilieu aufgewachsen, hat erst als erwachsene junge Frau Schreiben und Lesen gelernt, und sich damit auch erst die Möglichkeiten erschlossen, sich auf diese Weise auszudrücken. Sie nutzt ihre so spät selbst erschlossene Ausdrucksmöglichkeit es auf ihre Weise – gerade, knapp, schonungslos, offen, reduziert auf den Kern ihrer eigenen Wahrnehmung und auf das, was sie als Kern ausdrücken will.

Gilla Cremer gibt ihr Gestalt, schlüpft in ihre Person und lässt so vergessen, dass sie als längst dem Mädchenalter entwachsene Frau da auf der Bühne nun ein kleines Mädchen ist, hineingeboren in ein Paralleluniversum mit Lebensbedingungen, von denen Normalsterbliche sich keine Vorstellungen machen können: Am Rande der Bürgerlichkeit, ja gewissermaßen sogar am Rande der Zivilisation. Sie bricht aus – und bricht ein, drückt sich in ihrer eigenen Sprache aus – und prägt sich ein als eine Frau, die vom Schicksal gebeutelt wurde, vor ihrem Ausbruch und auch danach. 

Gilla Cremer hat die Autobiografie in einen Theatertext verwandelt, in ein Ein-Personen-Stück – mit Hund. Sie bringt ein Leben, das über eine wesentliche Zeitstrecke in und um eine Manege gelebt wurde, in aneinandergereihten Momenten und Phasen auf die Bühne. Es ist ein Leben, das zunächst sprachlos macht, danach viele Fragen aufwirft, und selbst dann, wenn man sich darauf manche Antwort erschlossen hat, am Ende hilflos zurücklässt. Berührend. Beeindruckend.

Auch wenn man es für gewagt halten könnte, im Zusammenhang mit diesem Stück an Gilla Cremers vorangegangene Produktion anzuknüpfen: Auch die Hildegard-Knef-Hommage war beeindruckend berührend – aber doch mehr noch: Sie war bewegend und entließ einen nicht hilflos, sondern erfüllt, nicht zuletzt durch einen zu Tränen rührenden Schluss, der das Ende eines grandiosen Stückes mit unglaublicher schauspielerischer Leistung markierte. Für „So oder so – Hildegard Knef“ gibt es nicht genug Daumen, um sie hochzurecken. Da wäre ein Unterschied – auf ganz hohem Niveau.

Drama-Köln

"BIKINI"

Theaterstück von Tina Müller, 
eine Produktion von Drama-Köln, Inszenierung Oliver Krietsch-Matzura, 
Aufführung am 6.7.2008 um 18 Uhr im Stadtgarten Köln

mit Dorothea Förtsch, Elena Galindo y Killmer und Nika Wanderer 
Daumenkritik: ein Daumen steil, einer halbhoch

 

Anders als es der Titel nahelegen könnte, ist das Stück ein Einteiler (keine Pause), und dort, wo es in diesem Falle aufgeführt wurde, nämlich auf der Wiese des Kölner Stadtgartens, waren die Rahmenbedingungen durchaus freibadtauglich, wenn auch nicht hochsommerlich. Es geht um drei junge Grazien mit unterschiedlich attraktiven Ausstattungen und um ihr hilfloses Ringen um eine Akzeptanz, die ihre körperlich reifenden Reize einbezieht. Auf den ersten Eindruck scheinen sie tatsächlich gar nicht mehr bieten zu wollen, als das, was sie haben: Nämlich ihre körperlichen Reize, mit deren Einsatz sie auf so unterschiedliche Weise umzugehen gelernt haben. 

In diesem Stück der Schweizer Dramatikerin Tina Müller scheint den offenkundig im Prekariat verwurzelten Mädels die textilsparsame Unterstreichung der eigenen Rundungen zunächst wichtiger zu sein als alles andere. So gesehen können Conny, Cindy und Sandy in ihrem Zickenkampf um verfrühte Anerkennung als Erwachsene wohl kaum klischeebeladener dargestellt werden. Ich räume ein: Mir fehlt es an seriösen  Vergleichsmöglichkeiten für die Verifizierung, ob das Stück an irgendeiner Stelle über eine klischeehafte Darstellung hinausgeht. 

Manchmal, nur kurz, wohl als ernsthafte Klammern in der Aneinanderreihung von Episoden aus belanglosem Zeittotschlagen gedacht, kommen nachdenkliche Einsprengsel, Reflektionen übers eigene Dasein dazwischen. Dann blitzt das Verlangen der drei beispielhaften Mädels aus irgendeinem Vorstadtghetto auf nach einer wenn auch orientierungslosen Sinnsuche. Doch dort, wo das Freibad nicht nur den Luxusstrand ersetzt, sondern auch auf den Ballermann vorbereitet, gibt es eben nur Tommy oder den eigenen Vater, über dessen Aufgeblasenheit als angeblicher Fotoprofi, der junges Modell-Frischfleisch der eigenen Geilheit wegen vor die Kamera zu locken versucht, man selbst dann unter Mädels milieu-adäquat heftig aggressiv unterschiedlicher Ansicht sein kann, wenn man sich als befreundet versteht.

Die Inszenierung von Oliver Krietsch-Matzura für das Theater-Projekt „Drama Köln“, einem Verein zur Förderung des Theaters als zeitgenössischer Kunst, ist absichtlich überdreht, und soll so vielleicht noch rasanter und komischer werden, als es von der Vorlage her möglicherweise angelegt ist. Mag sein, dass der Regisseur hier und da, vor allem zu Beginn des Stücks, der Überdrehung einen Schubs zuviel gegeben hat, doch der Gesamteindruck, der auf der Wiese des Stadtgartens entsteht, ist durchaus ansprechend. 

Den überzeugenden Leistungen der Schauspielerinnen Dorothea Förtsch als Cindy Miss-Bikini, Elena Galindo y Killmer als kecke Conny und Nika Wanderer als eher gehemmtes Mauerblümchen Sandy ist es zu verdanken, dass man sich als Zuschauer nach dem Stück nicht in seinen eigenen klischeehaften Vorstellungen verliert und die „Bikini-Welt“ vergleichbarer Mädels im echten Leben zwischen Casting-Shows zur Kür von  „Superstars“ und „Supermodels“ einfach abhakt. Die Darstellerinnen zeigen, dass auch Cindys, Connys und Sandys Leben vielfältiger ist – und sogar noch viel facettenreicher sein könnte, wenn sie nur den Mut hätten, sich häufiger in Reflektionen zu verlieren, die dem Leben mehr Tiefgang geben. 

David "Honeyboy" Edwards

Blues-Legende, begleitet von Tom Shaka und P. Jörg Weber

Konzert am 7.10.2008 in Bonn, "Harmonie"
Daumenkritik: Daumenlutschen ohne Ende

 
Enttäuschung ist wohl immer auch eine Folge zu hoch geschraubter Erwartungen, und so gesehen ist die Frage, wen man dafür zur Verantwortung ziehen könnte, auch immer eine Frage der Perspektive: Wer nichts erwartet hat, kann kaum enttäuscht werden… Ein Blues-Konzert der besonderen Güte verhieß die Ankündigung der Künstler David „Honeyboy Edwards“, Tom Shaka und P. J. Weber in der Bonner „Harmonie“, doch die Kriterien dafür, was unter "Güte" zu verstehen ist, sind gewiss individuell verschieden. Zumindest eins war gewährleistet: Ein musikalisches Erlebnis, das phasenweise nachdenklich macht.
Bevor der Zeitgenosse der Blues-Legende Robert Johnson die Bühne enterte, bot sich dem „Nachwuchs“ mehr als eine Chance. Zunächst das Heimspiel von P. Jörg Weber. Frisch den Klauen des karnevalistischen Kommerz-Frohsinns entronnen, zeigte er mit seinem Trio auf der Bühne die von ihm gewohnte Spielfreude und auf den Instrumenten eine Verspieltheit, die – greifen wir mal vor – in beeindruckendem Gegensatz zum vergleichsweise minimalistischen Griffbrettstil des Abendstars stand. 

Ausgesuchte Perlen des Pop-Blues-Katalogs, aus der Poppelsdorfer Perspektive quasi mit Delta-Schlamm bespritzt und hastenichgesehnwie auf den Saiten zerdehnt und verzogen, während der Groove das Gerüst zusammenhält. Erster Höreindruck: Gelegentlich hätten weniger Töne mehr Genuss vermittelt. Doch die Sache war rund und in sich stimmig, auch vor dem Hintergrund, dass der Künstler im Mittelpunkt des Supports nun wirklich so ist und genau der ist, der er ist: Er spielt jetzt „seine“ Musik auf seine Weise, und das ist prima.
Genau das - seine Musik auf seine Weise spielen - macht auch Tom Shaka, der als fulminanter Blues-Mann mit nahezu sagenhaftem Feeling angekündigt wurde – und doch weitaus weniger prima zunächst nur dadurch auffiel, dass ihm die Volume-Knöpfe an seinem Bühnen-Verstärker, aber auch der Lautstärkepegel im Monitor offenbar nicht weit genug aufgedreht werden konnten, mochte es auch rückkoppeln was es wollte. 

Von Sensibilität in der Verbreitung des selbst erzeugten Klangs keine Spur, was nur zwei Rückschlüsse zuließ, die alternativ zutreffen dürften: Entweder der Mann hat einen gewaltigen Hörschaden, was außerordentlich bedauerlich wäre, oder er hat eine Neigung zur Körperverletzung durch rücksichtslosen Krach - die ihn letztlich selbst zum Opfer werden ließ. Dass er zwischen seinen Frontalangriffen auf die Gehörgänge auch noch zu fragen wagte, ob man sich auch gut fühle, schlug dem Fass die Krone ins Gesicht.
Ach wie schön, wenn es denn in der elektro-akustischen Rundumversorgung genießbar gewesen wäre, doch Shakas Gnadenlosigkeit hat – zumindest bei mir – jeden Genuss im Keim erstickt. Wie schön wäre es doch gewesen, ihn rein akustisch erleben zu dürfen, wie vor Jahren in Osnabrück bei Peter Fingers Gitarrenfestival, begleitet von Steve Baker an den Harps. Lichtjahre schien dies her zu sein, grundlos diese aktuelle Lautstärke-Gier. 

Dass das Publikum kritiklos diese Lärmorgie auch noch beklatscht hat, konnte die Fassungslosigkeit auch nur noch minimal steigern. Schade eigentlich, denn die perkussive Gitarrenspieltechnik, seine unverkennbare Spielfreude hätten seinen Konzertpart durchaus zu einem Genuss werden lassen können, wenn es denn erträglich gewesen wäre. So blieb - für mich - als einziger genießbarer Teil seines Sets ein a capella gesungenes Stück aus dem tiefsten Delta. Es ist ein Jammer. 
Und dann, nahtlos angehängt, weil dem Altmeister nach dem vorausgegangenen Shaka-Bum-Krach wohl so danach war (wollte er der Pegel-Qual ein Ende setzen…?), der 93jährige Star des Abends, David „Honeyboy“ Edwards. Der greise „Honigjunge“ wurde gleichermaßen als lebende Legende gefeiert, wie man die tote Legende Robert Johnson in der Konzertwerbung bemüht hatte, um die Relevanz des Künstlers zu unterstreichen und ein „Honeyboy“-who? abzuwürgen. Nun gut, der Mann hat sein Leben – musikalisch und sonst sicher auch – gelebt und dabei kaum tiefere Altersspuren ins Gesicht gezeichnet bekommen als Keith Richards in zwei Lebensjahrzehnten weniger. 
Legenden haben ja was mystisches Mythisches. Man kann, aber man muss sie nicht glauben, und der Glaube gehört sowieso irgendwie eng dazu, auch wenn er nur eingeschränkt Berge versetzen kann. Dies gilt wohl nicht nur für Legenden aus der Kirchengeschichte, sondern vielleicht auch für den Bereich der Kunst und Kultur – na ja, warum eigentlich nicht noch weiter gefasster? im Sport, in der Politik...-, wo es gelegentlich ja auch vom Glauben abhängt, für wie relevant man die erstellte Kunst hält. 

Was der betagte „Honeyboy“ dort auf der Bühne in Gage umsetzte – geschenkt. Was die Songinhalte angeht, ist er ganz schön mutig. Was soll man davon halten, wenn ein 93jähriger, der erst selbst keinen Mikrohalter mehr hochkriegt, danach dann zu holpernden Riffs sich ein „Baby, I’ll get you some day“ durch die dritten oder fünften Zähne quetscht. Ob das wohl eine Drohung, eine Warnung, eine Ankündigung  - oder nur ein hohles Versprechen ist? Und wie alt mag das „Baby“ (geworden) sein? Und inzwischen wieder ebenso zahnlos? Tja, Baby come back...
Die Begleitung des Senior-Bluesisten von Michael Frank an den Harps war sicherlich eine wohlmeinende Ergänzung, die von der einen oder anderen Unebenheit im Edwardschen Spiel ablenken konnte. Dass schließlich auch noch Tom Shaka erneut auf der Bühne auftauchte, ließ zunächst Schlimmes befürchten (siehe oben), doch siehe da: Er kann tatsächlich auch leiser. Wirklich. Und so lieferte Shaka im zweiten Teil des Edwards-Konzerts gekonnt einen zusätzlichen Groove-Teppich, der auch der Spielfreude des Altbluesers erkennbar förderlich war.
Ein paar Bemerkungen noch zum Umgang mit Legenden. Nix gegen Respekt und Anerkennung von Lebensleistungen und Stellenwert. Doch muss man es wirklich auch noch genießen, wenn sich betagte Menschen selbst um ihre Reputation bringen? Gut – Aufbesserung der eigenen Rentenkasse ist ein kaum zu entkräftendes Argument. Auf der anderen Seite steht die Fragwürdigkeit des Gefallens, den  sich der Künstler selbst zu tun glaubt. 

Das selige Publikums-Vergnügen daran, jemanden "noch mal" erlebt zu haben (egal wie?), hat auch was Voyeuristisches. Und wenn man dann das Erlebte quasi der Kritikfähigkeit entrückt, reagiert man nicht anders als der devote Hofstaat jenes Kaisers, der seine Untertanen mit neuen Kleidern zu beeindrucken versucht, und dessen Hofschranzen nicht wahrhaben wollen, dass der Monarch nackt dasteht... Da braucht es dann eben gelegentlich eine naive Herangehensweise, die sich gar nicht auf die Idee einlässt, der Respekt könnte es verbieten, mal die Wahrheit zu sagen...
Da sitzt also der 93jährige hinterm Mikro und nuschelt sich einen ab, während er vergleichsweise - aber möglicherweise ja auch unfreiwillig, weil in den Fähigkeiten doch weniger geschult - sparsam übers Griffbrett und über die Seiten fingert, völlig ausreichend übrigens in seinen Akzentuierungen. Kein Grund zur ehrfürchtigen Erstarrung, schon gar nicht zum abschirmenden Schulterschluss mit den Hardcore-Fans, wenn sich ein Banause erdreistet, an Sockeln zu rütteln und die Sinnhaftigkeit des Konzertes unter künstlerischen Gesichtspunkten in Frage stellt. 
Ziehen wir mal einen Vergleich zu den oft in den Feuilletons von nassforschen Jung-Kritikern mit Häme übergossenen Altstars aus der Rockmusik, denen mehr oder weniger kaltschnäuzig deutlich nahegelegt wird, sich doch endlich aufs Altenteil zurückzuziehen und die Bühne Jüngeren zu überlassen. Wann ist dies übrigens je betagten Jazz-Musikern oder ergrauten Klassik-Instrumentalisten empfohlen worden, längst bevor sie den Qualitätsansprüchen ihrer Bühnen nicht mehr entsprachen oder die nachlassenden technischen Fähigkeiten den Tourneen ein Ende setzten? 
Bemühen wir noch mal Keith Richards und seinen Twin Mick Jagger, denen in den Feuilleton- und Klatschspalten nur allzu gerne ein „Hört-doch-endlich-auf“ ins Stammbuch geschrieben wird. Solang diese beiden (und mit ihnen manche andere brillante Alt-Rocker) den Groove noch halten, ihre Stimmen nicht brechen, die Post abgeht und nebenbei auch noch eindrucksvoll der Qualitätsunterschied zu Hüpfern deutlich wird, die zwei Generationen hinterherhinken, sind die Alten allemal ihr Geld wert – mag in den Feuilletons gekritzelt sein was will. 
Aber auch bei den grauen Panthern des Rock'nRoll stellt sich irgendwann die Frage, wie es zu verstehen ist, wenn sie einem „Baby“ ein vielversprechendes „I’ll get you“ in Aussicht stellen... - viel Zeit haben sie irgendwann nicht mehr…

Jean Faure mit Orchestre

"Pourquois pas?"

Chansons, Schängsongs
Konzert am 22. 5. 2008 im Pantheon, Bonn 
Daumenkritik: beide Daumen und die dicken Zehen hoch

 

Es was dritte Konzert von Schäng mit diesem Ensemble an diesem Ort - und wir haben keines davon verpasst, wohl wissen, wie groß das Vergnügen ist, sich diesem einmaligen Angebot hinzugeben. Und das auch mit ein wenig Stolz, denn immerhin haben wir von verschiedenen Seiten - nicht zuletzt vom Künstler selbst - unseren "Anteil" daran bestätigt bekommen, dass Jean  in dieser Weise seinem Publikum Freude bereitet. 

Zur Erläuterung die knappe Programmbeschreibung des Veranstalters: 

Na endlich! Ein ganzer Abend mit Jean Faure, das war lange überfällig! Schon in den 70er Jahren gehörte er als Solist zum Stamm der Folkszene, die sich hier im Pantheon, als es noch Kulturforum hieß, etabliert hatte. Heute kennen ihn alle als Gründungsmitglied von „Pink Punk Pantheon“, wo er sich in 25 Jahren endgültig in die Herzen seiner Fans gesungen hat.
Jetzt also endlich ein ganzer Abend, nur mit „seinen“ Chansons, die er liebt, von Jacques Brel bis Serge Gainsbourg. Und das mit einem wunderbaren Orchester, unter der Leitung von Matthias Höhn. 

Mit einem ausgesprochen glücklichen Händchen hat der Multi-Instrumentalist Matthias Höhn das "Orchester"  von Jean Faure zusammengestellt und darin selbst Saxophon, Klarinette, Flöten, Dudelsack, Mandoline, Concertina und weißderKuckuck was sonst noch für Instrumente gespielt.  Mit dabei außerdem Hedayet Djeddikar am Piano, Peter Haser am Akkordeon, Marcus Quabeck am Kontrabass, Francis Holzapfel am Schlagzeug, und nicht zuletzt der grandiose J.P. Weber an der Gitarre und Mandoline.

Man mag es kaum glauben: Wenn Jean Faure immer noch den Eindruck macht, als ob er sich gar nicht erklären kann, wieso es Leute gibt, die sein Konzert besuchen (es ist zum dritten Mal ausgebucht!!!), wenn er seine Verlegenheit fast in Publikumsbeschimpfung ausdrückt, nach dem Motto "Habt Ihr eigentlich nichts Besseres zu tun..." Dabei kann man an einem Abend, an dem Jean mit seinem Ensemble auftritt, kaum Besseres vorhaben als dorthin zu gehen.

Er hat wahre Chansonperlen ausgesucht - passend für ihn, für seine Art der Präsentation, die flapsige Kommunikation, mal mit dem amüsierten Publikum, mal mit den "Jungs" hinter ihm, die ganz deutlich Spaß an der Sache haben. Dabei sind es beileibe nicht nur fröhliche Lieder, die gesungen werden. Manche haben einen Inhalt, der "richtig runterzieht", meint Jean, doch die Einbettung in ein Programm, bei dem einem depressiven Suizidgesang wieder Chansons voller Bissigkeit und auch Lebensbejahung folgen, macht solche "schwere Kost" nicht nur erträglich, sondern zu einem Genuss. Man kann Erklärungen dafür finden, warum es Jeans Lieblingschansons sind. Er hat sie für ein Programm, für sein Programm zusammengestellt, das gewiss niemand sonst in dieser Dichte und mit dieser Nähe zum Publikum bieten kann. 

Schängi, mach weiter so - und ich bin auch stolz darauf, dass wir beide mal schon vor langer Zeit in der Polit-Folk-Kombo "Saitenwind" gemeinsam mit Hans Fraeulin und Steffen Kolodziej unser Publikum in Bonn und bundesweit in Fußgängerzonen, Kultur- und Jugendzentren, auf Demos, vor Kernkraftwerksbauplätzen und Raketendepos, aber auch auf Festivals nicht nur gut unterhalten, sondern auch begeistert haben - einige Zeit bevor Du Gründungsmitglied von "Pink Punk Pantheon"  geworden bist (woran das Pantheon-Management so stolz  erinnert). 

Thomas Felder

Liedermacher aus Schwaben

privates Konzert am 19.10. in Köln 
Daumenkritik: steil nauf ganget se beude

 
Thomas Felder ist kein Liedermacher der ersten Stunde (gehört nicht zur Degenhardt-Generation), aber der ersten Garnitur. Er ist weiß Gott keiner der ersten Reihe des kommerziellen Erfolges, dafür aber gewiss einer der ersten Wahl, wenn Qualität gesucht ist, und zwar sowohl in der Präsentation, als auch inhaltlich. Mag sein, dass sich vor allem letztere nicht jedem auf Anhieb erschließt, denn Thomas Felder singt, wie ihm der Schnabel gewachsen ist – in seiner Sprache eben, dem Schwäbischen. Er macht auf seine Art aus der Mundart eine wirkliche „Mundart“, eine Kunst nämlich, indem er mit Sprache zu jongliert, dass es eine Wucht und eine Wonne ist. Sie kann sich jedem erschließen, der halt seine Ohren aufsperrt und sich nicht dagegen sperrt, in ungewohnte Laute hineinzuhorchen.
Er kommt ohne Schnickschnack und Geklingel aus, bietet dafür inhaltlich Überraschendes und instrumental Ausgefallenes: Die Drehleier beispielsweise, nicht als Begleitinstrument für gut abgehangenes historisches Liedgut, sondern zur wirkungsvollen Ergänzung aktueller Texte, die Thomas Felder singt wie kaum ein anderer, nämlich unter Nutzung aller Oktaven, die für sein Stimmbänder erreichbar sind. Dies macht seinen Vortrag gelegentlich zum stimmlichen Happening und damit zum klanglichen Erlebnis, stets in harmonischer Ergänzung zu den so transportierten Inhalten, die ihn wiederum zu mutmaßlich einem der letzten Kauze vom Typ Hofnarr machen, der sich alles herausnimmt, ohne lang zu fragen, ob es ihm auch erlaubt ist. Wer sollte es ihm auch verbieten?
Was Thomas Felder völlig abgeht, sind Zugeständnisse an Publikumserwartungen, sind Kompromisse als Entgegenkommen an einen „Markt“. Er bleibt sich seit Jahren treu in der „liederlichen“ Umsetzung seiner eigenen künstlerischen Vorstellungen, mögen sich um ihn herum die Trends auch fortlaufend ablösen. Und das Schöne daran ist, dass es tatsächlich immer wieder gelingt, Leute für Thomas Felder zu begeistern, die vorher nie von ihm gehört hatten. 

Terry Lee Hale

US-Singer/Songwriter aus der Grunge-Ecke

Konzert am 9.11.08 in privatem Rahmen in Köln
Daumenkritik: doppeltes Hochragen

 
Es gibt Künstler, die mit ihrer Kunst nicht den direkten Weg unter die Haut derer nehmen, die sie mit ihren künstlerischen Produkten erreichen wollen. Terry Lee Hale, ein Singer/Songwriter der gewiss nicht ganz leicht konsumierbaren Sorte, gehört für mich zu dieser Kategorie. 

Er macht mehr als nur wohlklingende Songs, die eine Botschaft transportieren, unabhängig davon ob Botschaft und Musik überhaupt aufeinander passen. Und Wohlklang ist auch als solcher für ihn kein Wert an sich – abgesehen davon, dass es sich sowieso ja um eine recht subjektive Einordnung handelt.

Für seine Konzerte ergänzt Terry Lee Hale sein Instrument – wenn er die Möglichkeit hat, gönnt er sich den Genuss, mehrere Gitarren zu verwenden – durch diverse technische Apparätchen, die den Sound per Fußdruck verändern, aufpeppen, voluminöser machen. Folkpuristen mögen sich mit Widerwillen abwenden, aber Terry Lee Hale ist schließlich auch kein Folksänger, auch wenn er als Solist mit einer Gitarre vor dem Körper auftritt, sondern ein Sänger eigener Songs, die er so arrangiert, wie es ihm gefällt. Dies muss dann nicht zwangsläufig in eines der gängigen Genres passen. 

Folk, Blues, Grunge, Rock, Country – weiß der Geier was noch alles dabei ist, wenn Terry Lee in dem herumrührt, was ihn beeinflusst, um dann abzuzapfen, was er dann in eine eigene Klangform gießt. Heraus kommt jedenfalls ein eigener Stil, mit Liedern, die gelegentlich mit eingängiger Rhythmik und sparsamer Melodie nahezu meditativ unterstützend wirken: Sie ziehen den Zuhörer mit, saugen ihn an, vielleicht sogar auf, ohne dabei jedoch einen auf Distanz bedachten Zuhörer penetrant zu behelligen. Genau dies ist Terry Lee Hales Weg unter die Haut. Ein kaum merklicher – man spürt nur plötzlich, dass „da was ist“. 

Eindrucksvoll.

Biber Herrmann

Winzer-Blues und weiterer Feinschnitt

Konzert am 7. 11.08 in privatem Rahmen in Köln
Daumenkritik: beide schnippen hoch

 

Der gelernte Winzer weiß wovon der Blues handelt – um ihn in allen Knochen zu spüren, muss man nicht mit gekrümmtem Rücken auf den Baumwollfeldern des Mississippideltas geschuftet haben – da reicht auch die Hege und Pflege der Rebstöcke in extremen Hanglagen am nördlichen Rheinufer des Rheingaus – von der Weinlese ganz zu schweigen. 

Ein Glücksfall für die deutsche Musikszene, dass Biber seinen Jugendtraum dann doch noch irgendwann wahr zu machen versucht hat: Musiker zu werden, als Profi von seiner Musik zu leben, denn dies heißt schließlich, dass er seine Musik auch vor Publikum präsentieren muss. Damit kann man ihn dann nicht nur hören (da wäre auch ein Tonträger ausreichend), sondern auch auf einer Bühne erleben: ein auf anderthalb Meter reichen da durchaus, um sich von ihm faszinieren zu lassen.

Biber Herrmann macht ein kurzweiliges Programm, in dem seine Anekdötchen und Zwischenbemerkungen kaum weniger unterhaltsam sind als seine musikalischen Darbietungen. An der Gitarre wird die Zahl derer, die ihn noch in Staunen versetzen können, weitaus überschaubarer sein als die derjenigen, die er selbst mit seinen Fähigkeiten beeindrucken kann. Auch er hat – wie Steve White – ein Stück so arrangiert, dass man die vielsaitigen Möglichkeiten der Gitarre eindrucksvoll erleben kann. 

Biber Herrmann erklärt den Fingerpicking-Stil, bei dem es – im Unterschied zum „Flatpick-Stil“, bei dem ein Plektrum verwendet wird – darauf ankommt, ein differenziertes Klangbild zu erzeugen: mit Solo, Rhythmus und Bass, ja sogar – wenn man’s kann – mit Perkussion. Dass dies alles gleichzeitig auf einem einzigen Instrument – der Gitarre nämlich – und dann auch noch innerhalb eines Liedes funktioniert, bekommt man von Biber Herrmann unterhaltsam demonstriert. 

In seinem abendfüllenden Programm kombiniert Biber Herrmann eigene Kompositionen mit ausgewählten Standards „alter Meister“ der Vorkriegs-Blues-Szene, aber auch mit „Ohrwürmern“ wie „In The Summertime“ aus der „neueren“ Pop-Geschichte – natürlich auch schon komponiert zu einer Zeit, als die Flowers noch Power entfaltet haben. Auch in seiner Songzusammenstellung zeigt Biber ein „glückliches Händchen“, und mit beiden Händen, und allem anderen, woran sie hängen, macht er sein Konzert zum Erlebnis. Schön.

Iontach

irish authentisch

Konzert am 16. 5. 2008 im Bungertshof, Königswinter
Daumenkritik: doppelt hoch

 

Der Gruppenname kann, soll, mag Rückschlüsse aufs Programm oder die Konzeption erlauben. Das irische Wort „Iontach“ bedeutet – frei übersetzt – „prima“, genauso aber auch „seltsam“. Seltsam mag die Musik des Trios in der Tat für diejenigen klingen, die – warum auch immer – irische Folkmusik immer noch mit Rauf- und Saufliedern gleichsetzen sollten. 

Die Besetzung der Gruppe steht dem entgegen: Ein deutscher „Quotenmann“ ohne erkennbare Anzeichen für Rauf- und Saufvorlieben, der mit seiner irischen Angetrauten sowie einer Folkmusikerin aus dem Ruhrpott gemeinsam herzerwärmend musiziert. Und diese Konstellation erlaubt zusätzlich trefflich eine kurzweilige Ergänzung dessen, was musikalisch hochklassig geboten wird. Frauen und Männer – schließlich ist das immer ein Thema, über das sich Frauen und Männer amüsieren können.

Siobhán Kennedy bläst in alle möglichen Flöten, streicht die Geige, zieht und drückt die Concertina und singt dazu hingebungsvoll, ebenso wie Angelika Berns, die zusätzlich an den Keyboards und der irischen Flachtrommel Bodhrán zugange ist. Zwischen den beiden Frauen widmet sich Jens Kommnick virtuos der Gitarre, spielt aber genauso Bouzouki, Cello, diverse Flöten und den irischen Dudelsack, der um den Bach geschnallt per Blasebalg mit Luft gefüllt wird. Und zusätzlich singt auch er – und damit sind wir bei einem Markenzeichen des Trios: dem mehrstimmigen, gar nicht so selten auch a cappella vorgetragenen Harmoniegesang, der vorzugsweise bei Liedern zu hören ist, die eher ans Herz gehen. 

Es ist ein beeindruckendes Repertoire, das zu Gehör kommt, eben wegen seiner Vielseitigkeit, wenn einerseits mitreißende Tanzmelodien angestimmt werden und gleich darauf ein stimmungsvolles Lied folgt mit schwierigsten Gesangsparts, das unter die Haut geht. Doch die Gruppe erlaubt kein dauerhaftes besinnliches Abtauchen. Kaum ist der letzte Ton verklungen, erinnert eine unterhaltsame Überleitung daran, dass Zweck des Unternehmens die Vermittlung von Freude und Spaß an der Musik ist, in diesem speziellen Fall konzentriert auf Kompositionen irischer Herkunft. 

Und dies gelingt komplett, denn schließlich handelt es sich bei Iontach beileibe nicht um ein Trio aus „Berufsanfängern“. Sie haben sich ihren exzellenten Ruf - jede und jeder für sich - längst erspielt und können mit ihrem Können nun gekonnt spielen. Besonders auffällig dabei Jens Kommnick, der aus der Gitarre mehr herausholt als gewiss gemeinhin für möglich gehalten wird. Als ein Könner mit der linken Hand auf dem Griffbrett und mit der rechten im Anschlag der Saiten lässt er immer wieder aufblitzen, dass er sich auch in anderen Genres zu bedienen weiß und weitaus mehr drauf hat als hier nun vordergründig durchklingen mag. 

Verdiente Begeisterung, verdiente Zugaben – Dank an den Veranstalter, rücksichtsvoll auf Nachschublieferungen an Speisen und Getränken während der Sets zu verzichten. Das hätte nämlich echt gestört.

Klaus Lage

Rockwerker

Konzert am 14.11.08 im Savoy, Düsseldorf
Daumenkritik: ein Daumen gehoben, um nicht zu übertreiben

 
"Schweißperlen" heißt eines seines vielen Alben, und nach ihnen klingt auch das ganze Konzert. Breit stemmen sich die Beine unter seiner Fülle in den Boden, erdverbunden, die Lücke versperrend, die er einst zwischen Lindenberg und Maffay ausgemacht hatte und selbst füllen wollte. Ein paar nette Songs hat er gemacht, rechtschaffen, Schulter an Schulter mit denen, von denen er sich gerne auf selbige klopfen lassen dürfte, wuchtig im Grundbeat, sogar die Liebeslieder sind handfest, und von ihnen hat er ein paar, die besonders gut ins Ohr gehen.

Das Savoy-Theater in Düsseldorf ist fast voll, alle sitzen, bis es einige nicht mehr aushalten: Monopoly, Faust auf Faust - Klaus, der Kumpel vom Tresen, er sieht aus, als ob er im selben Sparverein wäre, mit auf Kegeltour und samstags ins Stadion kommt, Taxi fährt oder Brummi, aber Rockstar...?

Er ist in die Jahre gekommen, der Klaus Lage, und es will bei mir nicht so recht "zoom" machen, auch wenn nahezu alle um mich herum so tun, als hätte Klaus den Magnetsong tausendmal für tausend verschiedene Polterabende geschrieben. Inzwischen tappt er wie ein Tanzbär zwischen seinen Musikanten herum, erzählt von welchem Album das nächste Lied stammt und dass man ja alles positiv zu sehen gewillt ist. Jau, gib ihnen Saures, den Bonzen und denen aus der Schlossallee.

Lage ist ein Phänomen - auf seine Art. Nicht so verschroben wie manchmal Panik-Udo, dafür aber berechenbarer, phantasieärmer, geradeaus - langweiliger. Nie im Verdacht, der Schlagerwelt entkommen zu sein - eine ehrliche, unrasierte Haut, auch wenn sie inzwischen unter dem Gürtel ein wenig "gespannt" sein dürfte. Aber sie ist ja dehnbar.

Äh.... wie macht das eigentlich Mick Jagger, der älter als Lage sein dürfte, dass er immer noch so flott über seine Bühnen toben kann, während andere sich gewichtsmäßig diesbezüglich selber ausbremsen? Den Fans ist es eh Bratwurscht. Sie bejubeln ihren Klaus, sind mit ihm in die Jahre gekommen und viele eben genauso in die überzähligen Pfunde. Sowas verbindet ja schließlich auch - Pfundskerle eben, Mädels und Muttis jetzt einfach mal mit erfasst. Da kann man eben nicht mehr locker wie Mick von links nach rechts über die Bühne joggen - bestenfalls andeuten, wie man den Elfer versiebt hat. Nicht schlimm, Klaus, haben wir ja alle, irgendwann mal...

So ist die Lage. Und da kommen wir auch durch.

Paul Millns

britischer Piano-Singer/Songwriter

Konzert am 10.10.2008 in Langenfeld, "Schaustall"
Daumenkritik: sowas von hochschießend

 
Wenn ich das Konzerterlebnis vom 10.Oktober im Langenfelder Schaustall mit einer Farbe ausdrücken sollte, wäre es Ahorn-Rot im Herbst - ein herzerwärmender Farbton, der selbst dann noch Lebensfreude vermittelt, wenn doch - zumindest im Jahreszyklus - die Erwartungen eher darauf gerichtet sind, sich mit der Vergänglichkeit (der einzelnen Jahreszeiten) abfinden zu müssen. Glücklicherweise hat die Vergänglichkeit nicht immer die gleiche zeitliche Rhythmik...

Paul Millns hatte zwei Begleitmusiker dabei, langjährige Weggefährten, die ihn schon häufiger auf Touren und bei Aufnahmen für Tonträger begleitet haben: Bassist Ingo Rau und Drummer Vladi Kempf. So war es für diejenigen, die bislang nur oder längere Zeit nur den Solisten Paul Millns erlebt hatten, eine quasi vom Sitz hebende Show. Wobei die Bezeichnung "Show" im Zusammenhang mit dem sympathischen Pianomann  gewiss ihre Fragwürdigkeit aufweist. Aber im Grunde war es ja doch eine Show, selbst wenn dort kein "Showstar" über die Bühne gehampelt ist, sondern ein grundsolider und unglaublich inspirierter und inspirierender Künstler Kostproben seines Schaffens aneinanderreihte und selbst dann noch Lust auf mehr machte, als der vorgesehene Zyklus längst abgehakt war.

Diese Mischung aus Balladen und fetzigem Blues, diese stetig wiederkehrenden Zwischenspurts und Erholungsphasen, die mal den Rhythmus in die Beine zwingen, mal die Wärme in den Bauch, geben dem Konzert, den Konzerten von Paul Millns ihren eigenen, einzigartigen Drive, der doch so perfekt dem Lebensrhythmus entspricht. Dies wird auch noch angereichert, gewürzt mit wirklich geistreichen Liedertexten und Zwischenbemerkungen, aus denen immer wieder klar wird, dass dieser Mann nicht nur was zu singen, sondern auch was zu sagen hat.

Die Begleitung mit Ingo Rau am Bass und Vladi Kempf gab dem Konzert eine rhythmische Grundierung, die direkten Zugang in die Beine fand. Einfach Klasse. 

Jörg Nassler & Dunja Averdung

Gitarrenzauberei mit Vokal-Anreicherung

Privat-Konzert am 26.10. 2008 in Köln
Daumenkritik: zwei hohe Daumen im Ostseewind

 
Gitarre ist ein reizvolles Instrument, das viel dazu beitragen kann, beliebige Menschen an beliebigem Ort in gute Stimmung zu versetzen. Dazu bedarf es nicht mal übermäßigen Talents oder mit selbstquälerischem Eifer geschulter Fähigkeiten. Ein paar Griffe können schon genügen. Wer mehr kann – erst recht wer viel mehr kann – ist immer wieder in der Lage, weitreichendes Erstaunen zu verbreiten. Die Möglichkeiten, Töne und Klänge aus einem hohlen Holzkörper mit sechs aufgespannten Saiten zu locken, wenn man diese nur auf die richtige Weise befingert, scheinen unendlich. Professionellen Solisten gelingt es immer wieder, nicht nur Gitarrenfreaks zu begeistern.
Jörg Nassler, vormals Dresden, inzwischen mecpommsche Ostseeküste, hat nicht nur Gitarre gelernt, sondern auch als Hochschuldozent gelehrt und jahrelang mit seinem ehemaligen Schüler Silvio Schneider ein viel bestauntes erfolgreiches Duo gebildet. Inzwischen hat Nassler den Bühnenpartner gewechselt – statt des zweiten Gitarristen ergänzt ihn inzwischen als Sängerin Dunja Averdung, - ohne dass dies aus dem Instrumentalisten und seiner Chanteuse gleich eines der vielen "gängigen" Duos aus Gitarrist und singender Partnerin machen würde. 
Jörg Nassler macht auf der Bühne (mindesten zwei Meter mal einsfuffzig) zunächst mal vorrangig „sein Ding“, und dafür braucht er Platz: Technische Gerätschaften, die zur elektronischen Klanganreicherung eingesetzt werden, stehen rechts von ihm, und links hat er eine interessante Mischung aus perkussiv nutzbaren Kleinteilen angeordnet (z.B. mit den Füßen zu bedienende Kastagnietten…), während vor ihm, gut auch aus Köpfhöhe lesbar beschriftet, diverse Fußschalter zur Verfügung stehen, um dem gespielten Ton die gewünschte Klangfärbung oder Klangergänzung zu geben. Das Ergebnis: Jörg Nassler spielt mit sich selbst nicht nur im Duo, sondern fügt sich in ein ganzes Ensemble ein, das aus mehreren Gitarristen, einem Bassisten, einem Perkussionisten, gelegentlich einem Lippen- und Stimmbandkünstler und einem Tontechniker zu bestehen scheint.
So musikalisch unterfüttert, nimmt Jörg Nassler sein Publikum mit auf Tour in heißere Gefilde, die höhere Temperaturen und auch mehr künstlerische Anregung zu bieten haben als die Ostseeküste: die Reviera, Andalusien, Marokko, Mauretanien, Mexiko. Reiseanekdoten würzen die Musik, die auf großen Fahrten entstanden ist oder durch diese inspiriert geschrieben wurde, und wer sich bereitwillig mitnehmen lässt, kann seine Phantasie mit den Kompositionen in Einklang bringen und aus den Klängen die Hitze erahnen. Ein akustischer Reiseführer, der jeden verblüfft, auch wenn er noch so polyglott herumgekommen ist.
In „Mexiko“ steigt dann auch Dunja Averdung ein und begleitet angenehm mit ihrer Stimme die Nasslerschen Interpretationen durchaus vertrauter Popsongs in spanischer und englischer Sprache – es ist auch ein Abstecher über die mexikanische Nordgrenze dabei, und so kann das gut unterhaltene Publikum am Ende auch noch mitsummen, nachdem es im ersten, mehr instrumentalen Teil noch zur „Mitarbeit“ herausgefordert worden war. Restlose Begeisterung wird durch lang anhaltenden Beifall belegt.

 

Randy Newman Project

Manfred Maurenbrecher, George Nussbaumer & Richard Wester

Konzert am 7. 4. 2008 in der Harmonie, Bonn 
Daumenkritik: sowas von steil nach oben

 

Wer mehr als nur ein paar Namen kreativer Exponenten in der deutschsprachigen Singer/Songwriter-Szene kennt – mit „Liedermacherei“ hat das, mit Verlaub, wenig zu tun – musste schon mit feucht geleckten Lippen in die Bonner Harmonie gestrebt sein. Mal abgesehen von Randy Newman als sinnstiftendes Genie hinter diesem Projekt ließen schon Namen wie Manfred Maurenbrecher – quasi das deutsche Pendant zum amerikanischen Keyboard-Zyniker – und Richard Wester - der Zauberer am Sax - bestimmte Soundvorstellungen im Kopf entstehen, die einfach Appetit machten.

Und dann schallte auf einmal auch noch eine Stimme aus den Boxen, die sprachlos macht: George Nussbaumer. Angekündigt als die schwärzeste Stimme Österreichs, mag er in Deutschland noch als Geheimtipp gehandelt werden, aber das kann nicht lange so bleiben. Da muss einfach mehr kommen: Nicht von diesem Wahnsinns-Interpreten und Pianisten, sondern vom Publikum an Begeisterung und Zuwendung.

Das Konzept der drei Ausnahme-Künstler: Knapp zwei Dutzend Songs aus der Feder des mitunter regelrecht schön-bösartigen Newman, sorgfältig herausgepickt aus dem Gesamtrepertoire, dann im Ping-Pongverfahren mal von George Nussbaumer in englischer Sprache stimmgewaltig interpretiert, mal kongenial von Manfred Maurenbrecher ins Deutsche verlagert und ebenso gecovert, ohne dem Original, seiner Intention und seinem kratzbürstigen Charme Gewalt anzutun. Und zwischen beiden, die  - mal mehr, mal weniger, aber immer auf den Punkt genau genug - die Tasten betasten: der Virtuose Richard Wester an den Saxophonen und an dem, was sich sonst noch so bei diesem Projekt zu blasen anbot.

Das Ergebnis: Gänsehaut pur, nahezu vom ersten Song an, den das Trio bereits anstimmt, als es seinen Weg durchs Publikum zur Bühne nimmt. Der blinde George Nussbaumer wird an seine Tasten gesetzt und dann geht es ans Eingemachte im positivsten Sinne. Sie holen mehr aus den Newman-Songs heraus als der Urheber der Werke selbst es könnte oder vielleicht sogar für möglich hält. Wer Newman von früheren Solo-Konzerten in Erinnerung hat, kann die Enttäuschung kaum vergessen haben: Das relativ lustlose Heruntergespiele der bekanntesten Werke, so als ob es der Meister seinem Publikum heimzahlen müsse, weil es ihn durch seine Anwesenheit vor der Bühne so sehr belästigt.

Wie anders nun das Trio des Randy Newman Projects. Dass sie Herzblut in dies Programm haben fließen lassen nimmt man mit jedem Akkord, mit jedem gesungenen und geblasenen Ton wahr. Und auch das Publikum kann nicht anders als sich von Lied zu Lied in seiner Begeisterung zu steigern. Wann denn auch sonst, wenn nicht hier und jetzt… 

Schlicht: Wahnsinn.

Don Ross, Andy McKee & Ulli Bögershausen

Saitenakrobaten

Konzert am 6.6.2008 im Margarethenhof, Königswinter
Daumenkritik: Doppel-Daumen hoch

 

"Acoustic Guitar Meeting" - unter diesem Titel hat der Bungertshof in Königswinter in seiner nobleren Spielstätten-Dependance nun eine Reihe gestartet, in die sich der deutsche Ausnahme-Gitarristen Ulli Bögershausen maßgeblich einbringt. Er veranstaltet bereits eine entsprechende Konzertreihe in der Nähe seines Wohnsitzes an der Mosel. Präsentiert werden in loser Folge nationale und internationale Stars der Gitarrenszene.

Ulli Bögershausen, quasi also Gastgeber der Reihe, machte den Anfang und spielte die Freunde der Gitarrenklänge im ausverkauften Haus als erster schwindelig. Eine hochklassige Instrumentalmusik, bei der man den Höreindruck bekommt, da sind mehr als zehn Finger an beiden Händen und auch mehr als ein halbes Dutzend Saiten aufgespannt. Am Ende waren es dann auch tatsächlich 12, aber schon vorher klang es nach mehr.

Eine halbe Stunde hatte Ulli sich zugestanden und füllte diese auf bewährte Weise mal mit eingängigen,  verblüffenden Eigenkompositionen, z.B. "typische Gitarrenstücke", die - so seine Erläuterung - eben nur so auf der Gitarre entwickelt werden konnte, und mal auch mit bekannten Stücken aus der Popmusik (z.B. "Kiss From A Rose" von Seal oder von Cindy Lauper "Time After Time"). Man hätte ihm länger zuhören mögen, doch "Meetings" dieser Art haben eben die Kehrseite, dass das Zeitbudget für jeden einzelnen Künstler eng ist. 

Don Ross und Andy McKee enterten die Bühne gemeinsam, spielten mal zusammen, mal alleine und knüpften dort an, wo Ulli aufgehört hatte, allerdings doch in ihrem eigenen Stil. Beide als innovative Gitarristen angekündigt, bestätigten sie live ihr außergewöhnliches Können, von dem sich schon seit geraumer Zeit via YouTube die Gitarrenfreunde in aller Welt überzeugen können. 

Sie pflegen beide, wenn auch nicht in identischer Weise, aber doch sich optimal ergänzend, ein sehr percussives Spiel, bei dem das Griffbrett beileibe nicht nur von der linken Hand (beide sind Rechtshänder) bedient wird, und bei der dann beim Anschlag der Saiten auch die rechte Hand Hilfe von der linken erhält. Darüber hinaus demonstrieren beide gekonnt, dass man der Gitarre nicht nur Saitentöne entlocken kann. Und zusätzliche Verblüffung wird hervorgerufen durch eine Grifftechnik, wie sie gelegentlich der - nach Ansicht von Ulli Bögershausen - wohl innovativste und spannendste Fingerstyle-Gitarrist der Welt, nämlich Andy McKee, zeigt, indem er andersherum, nämlich von oben auf dem Griffbrett in die Seiten greift. 

Am Ende gab es dann eine Zugabe, bei der alle drei Künstler ihr Können mischten. Für eine Probe habe die Zeit nicht gereicht, und so musste die Vorgabe genügen, "irgendwas in e-moll" (oder war es a-moll?) zu beginnen, und dann werde man schon sehen, was daraus wird. Es wurde imponierend, aber wer hätte schon anderes erwartet.

Es war ein Konzert von der Sorte, bei der man als weniger begnadeter Gitarrist auf dem Heimweg leicht ins Grübeln kommt über die Frage, ob man sein Instrument nicht vielleicht doch besser bei ebay einstellen sollte... Aber dann hätten die drei Künstler des Abends gewiss genau das Gegenteil von dem bewirkt, was sie anstreben, nämlich gewiss die Popularität von Gitarrenmusik zu steigern. Also: Dranbleiben! Und nicht jeder muss ja seinen musikalischen Ehrgeiz als Instrumentalist austoben - es gibt schließlich auch die Variante, bei der man zusätzlich seine Stimme nutzt, um singend Inhalte zu transportieren, die dann von passenden Akkorden begleitet werden. "Lieder" sind auch schön...

Marcus Schinkel

Jazz-Pianist

Konzert am 13.10.2008 in Bonn, "Harmonie"
Daumenkritik: hochweisend

 
Für mich natürlich kein Konzert wie beliebige andere: Immerhin der (Nach-)Namensvetter, der seit Anfang der neunziger Jahre nicht nur dort wirkt, wo ich selbst Ende der siebziger Jahre meine Zelte abgebrochen hatte: In Bonn und dem umgebenden Kosmos. Doch es sind offenbar szenemäßig schon Welten zwischen den Zirkeln, in denen wir uns bewegen bzw.  bewegt haben: Schinkel alt (Gerd) als Teil der Bonner Folkszene, Liedermacher-Fossil als Solist und Ensemble-Mitglied früher in der Polit-Folk-Kombo Saitenwind einerseits, und Schinkel jung (Marcus) als der muntere und musikalisch unglaublich vielseitige Tastenbetaster, der inzwischen nicht nur die Bonner Jazz-Szene bereichert, sondern auch gelegentliche Ausflüge in nicht einmal angrenzende Genres (Italo-Folkrock mit Santino de Bartolo, Chansons mit Nessi Tausendschön) pflegt. Er kann es sich leisten, denn sein geschultes und examiniertes musikalisches Fundament ist ungleich stabiler als meins.

Marcus Schinkel zelebrierte sein 25jähriges Bühnenjubiläum und hatte dazu gewiss nicht alle, aber viele seiner Weggefährten eingeladen, um mit ihm - auch ein wenig nostalgisch, schien mir - Wegmarken in Erinnerung zu rufen, die man gemeinsam passiert hatte. Als Conférencier in eigener Sache gab der Namensvetter - gemeinsame verwandtschaftliche Wurzeln ließen sich bei einem kurzen Plausch nicht erkennen: Seine Familie stammt vom Niederrhein, meine aus Schleswig-Holstein - Erläuterungen zu seinem Werdegang, um die präsentierten Mitmusiker und ihre Relevanz fürs eigene musikalische Dasein vorzustellen. 

Natürlich stand der Jazz im Mittelpunkt, ein Genre, mit dem ich ähnliche Berührungsprobleme habe wie Santino de Bartolo, der sein eigenes Annäherungszögern an einem Vergleich verdeutlichte: Es sei wie bei einer wunderschönen Frau, der man sich einfach nicht zu nähern wage, weil es an Mut fehle... Als musikalischer Laie und Autodidakt fehlen mir die ausreichenden Kenntnisse, um sachkundig mitreden zu können, wenn es darum geht, Fähigkeiten und Qualitäten von Kompositionen oder bei der Beherrschung eines Instruments beurteilen zu können. Vielleicht aber kommt es ja auch gar nicht darauf an, sondern nur darauf, ob man angesprochen wird, ob man Zugang zu Klängen, zu Rhythmen, zur Musik findet, die so völlig anders ist als die, die man sich selbst musikalisch dilettierend erschlossen hat.

Beethoven ist offenbar ein Komponist, an dem sich Marcus Schinkel nicht links liegen lassen kann, ohne sich intensiv mit ihm zu beschäftigen. Was er mit einigen Kompositionen des tauben Genies (sitzen deshalb die Tauben so gern auf seinem Standbild auf dem Bonner Münsterplatz, weil sie den grandiosen Ludwig als einen der ihren begreifen wollen...), ist beeindruckend: Ein Versuch, Beethoven als Popstar seiner Zeit zu begreifen, der auf Zeitläufte zu reagieren wusste (Napoleon beim Komponieren wenn nicht ihm Ohr, dann immerhin im Blick), ist in Beethovens Geburtsstadt nicht ohne Risiken. Aber im Hinterland des Alten Zolls gibt man sich ja gerne modern und aufgeschlossen - ein schöner Schein, mit dem sich trefflich trügen lässt...

Marcus Schinkel macht nicht den Eindruck, dass er sich durch stilistische Bedenkenträger abhalten ließe, das zu tun, was er selbst musikalisch für richtig hält. Und seine Fähigkeiten sind so solide, dass er "spielend" jedes Genre seiner Wahl bereichert - ein Mann, der seinen eigenen Spaß an der Musik zu vermitteln versteht, auch und insbesondere im Zusammenspiel mit anderen Musikern, die eigene Gattin Birgit Schinkel (Querflöte) inbegriffen. Interessant allemal, für Kenner gewiss mit Genussfaktor, und für Laien wie mich beeindruckend, auch wenn die Dimension ein wenig zu kurz kommt, die mir in meiner "musikalischen Existenz" die wichtigste ist: Der Inhalt der Texte... Aber letztlich ist ja nicht entscheiden, sagt Marcus Schinkel, in welchem Genre man sich bewegt, sondern ob es gute oder schlechte Musik ist.

Doch wie schon angedeutet: Die Schnittmenge der Szenen, in denen wir uns bewegen, scheint nicht groß zu sein. Ich sah in der vollen "Harmonie" kaum ein bekanntes Gesicht. Doch allein die Gleichheit der Nachnamen genügte schon, um von Seiten der Veranstalter aus in der Vorankündigung des Konzertes Verwirrung zu stiften, war doch tatsächlich Wochen vorher in einem Flyer mit der Übersicht über die Konzertvorhaben für den 13. Oktober ein Konzert angekündigt von Gerd Schinkel, Genre: Jazz. 

Sorry, Leute, da kann ich nicht mitmischen. Ich bleib bei meinen Liedern. Auf dem Terrain fühl ich mich heimisch und muss nicht befürchten, dass ich stolpern könnte. Und vor Ausflügen in angrenzende musikalische Bereiche habe ich die selbstschützende Scheu des Dilettanten...

 

Theater der Stadt Bonn

"Die Banalität der Liebe"

Theaterstück von Savyon Liebrecht
Aufführung am 12.10.2008 in Bad Godesberg, Kammerspiele
Daumenkritik: kribbelnde senkrechte Daumen

 
Es ist nicht der Mut des Wahnwitzigen, der mich treibt, nun auch als Theaterkritiker meinen "Senf" abzugeben. Es vielmehr die Begeisterung über eine Inszenierung, die ich in den Kammerspielen in Bonn-Bad Godesberg erlebt habe. "Die Banalität der Liebe" heißt das Stück der Autorin Savoy Liebrecht, die den Titel angelehnt hat an Hannah Arendts Buch über den Eichmann-Prozess, das wiederum den Untertitel trägt "Die Banalität des Bösen". Stefan Heiseke hat das Stück auf die Bühne gebracht. In enger Zusammenarbeit mit dem Ensemble wurde das geschriebene Stück solange bearbeitet, bis es sich in einem tragfähigen Bühnenkonzept umsetzen ließ - und dieses Konzept ist umfassend grandios bis ins Bühnenbild.

Es geht um die Liebe zwischen Hannah Arendt und Martin Heidegger. Es war die asymmetrische Beziehung zwischen einer jungen, ehrgeizigen Philosophie-Studentin und dem hochgelobten und später oft verdammten Genie, der als Philosophie-Professor an der Universität Freiburg. Er verstand es, seine brillante Studentin mit beeindruckenden - gewiss nicht nur intellektuellen - Fähigkeiten an sich zu ziehen und zu binden. 

Was Martin Heidegger - nach anfänglicher Hitze und Blüte ihrer Beziehung - weniger begreift, ist ihre Stärke zum Absprung. Zu dieser Kraft findet sie, nachdem sie jahrelang vergeblich darauf gewartet hat, dass er sich zu ihr bekennt und seine Familie verlässt. Die junge Hannah Arendt möchte alles verstehen, um es wirklich zu verstehen, und sucht Verständnisgewinn bei ihrem Professor. Was sie nicht begreift, ist nicht nur sein Zögern, sich ihretwegen von seiner Familie loszusagen. Ein paar Jahre dauert ihre Liebesbeziehung, bis sie vertrocknet. 

Als sie sich nicht mehr treffen, bleibt der erwachsenen Hannah Arendt unverständlich, wie ihr Lehrer empfänglich sein kann für den Nationalsozialismus vor und nach der Machtergreifung. Sie versteht nicht, wie Heidegger als Rektor der Universität Freiburg mit dem Heil-Hitler-Gruß in eine gleichgeschaltete, gleichsam blinde Menge eintauchen kann, aus der er doch wenige Jahre vorher noch die junge Studentin Arendt zu entführen trachtete. Was die gereifte Hannah Arendt nach dem Krieg schließlich noch weniger begreift, ist seine Beharrlichkeit in der Weigerung, sich nach dem braunen Irrsinn von diesem kriminellen Spuk zu distanzieren und zu entschuldigen. Aber schon als junges Mädchen hatte sie es geahnt, dass sie ein ganzes Leben brauchen werde, um sich von ihm zu lösen. Sie schafft es letztlich kaum, und bleibt so fähig, ihn noch aus tiefstem Herzen vor seinen Kritikern zu entschuldigen.

Die Inszenierung ist in fast drei Stunden Theatererlebnis nahezu von der ersten bis zur letzten Sekunde fesselnd. Anke Zillich, der Darstellerin der älteren Hannah Arendt, gelingt die Verkörperung der lebenslangen Schülerin des selbstverliebten Profs, die trotz aller intellektueller Brillanz ihren Gefühlen bis ins Alter nahezu hilflos ausgeliefert scheint. Wie eine wütende Bärenmutter, die schützend ihr Junges zu verteidigen sucht, wirft sie sich den Kritikern und damit Angreifern ihrer ersten großen Liebe entgegen, als diese doch längst durch andere Lebensphasen der Gegenwart entrückt ist. Sie leidet und liebt immer noch, fordert und verzweifelt. Eine beeindruckende schauspielerische Leistung von Anke Zillich, die unter die Haut geht und mitleiden und mitfühlen lässt.

Die junge Hannah Arendt, dargestellt von Maria Munkert, zeigt die wild entschlossene, lern- und liebeshungrige Hochschülerin. In ihrer schwärmerischen Offenheit für die Liebe ihres Lebens findet sie nach bitterer Enttäuschung über die charakterliche und menschliche Schwäche des geliebten Genies zu einer ihm nicht erreichbaren Stärke. Mit der gelingt es ihr, den Knoten der Fesseln zu zerschlagen, die sie an den Lehrer gebunden haben. War die Begegnung mit Heidegger das Ende ihrer Kindheit, bedeutete das Ende ihrer Beziehung und erst Recht der Beginn des Nazi-Reichs das Ende ihrer Hörigkeit, auch wenn sie ihre Zuneigung zu ihm damit nicht verlor. Maria Munkert spielt die junge Hannah mit einer umwerfenden Souveränität und entwaffnenden Liebenswürdigkeit, die den jungen Heidegger daneben als nahezu niederträchtigen Schürzenjäger bloßstellt.

Der jüngere Heidegger, Yorck Dippe, genießt offensichtlich sein Dasein in Zeit und Raum, vor allem in räumlicher Nähe zur jungen Studentin. Er gibt seinem Dasein im Dortsein einen Sinn, indem er sie mit wohlgesetzten und gestelzten Reden umgarnt. Er will ihr die Eigentlichkeit des Seins begreiflich machen. (Interessant, dass das Rechtschreibprogramm des PC das Wort "Eigentlichkeit" misstrauisch rot unterkringelt...). Ihn lockt das Wohlsein als wohliges Sein und wohl auch des bequeme und schmeichelnde Angehimmeltsein einerseits, während hinter den Kulissen seines Studentinnenherzen brechenden Hochschullebens am heimischen Herd die dem national  erbraunenden Deutschen zugängliche Gattin Elfriede den Söhnen eine gute deutsche Mutter sein mag. Sie ist weit weg von den intellektuellen Höhenflügen ihres Gatten, der wiederum für die ihn angeblich inspirierende Begleitung eine leidenschaftliche und schwärmerische Studentin vorzieht. Er schmeichelt der jungen Frau und ihrer Intelligenz, solange sie Studentin ist. Später findet er nie die Souveränität, neben seiner eigenen, von ihm selbst wohl nie bestrittenen Genialität, auch eine andere Genialität, die seiner früheren Schülerin, gelten zu lassen. Einmal Schülerin - immer Schülerin, einmal Lehrer - ewig Lehrer. Der philosophierende Filou - in der Verkörperung von Yorck Dippe ideal besetzt.

Der ältere Heidegger, Rolf Mautz, ist der gebrochene Professor Unbelehrbar. Er klammert sich an seine eigene Unbeugsamkeit wie an einen Krückstock. Hitler und seinen braunen Mitläufern wirft er Verrat am Nationalsozialismus vor, um sich nicht selbst dem Druck auszusetzen, abschwören zu müssen, entschuldigend um Vergebung zu bitten. Er schafft es nicht, weil er es nicht schaffen mag. Außer dem Zugeständnis eines kurzzeitigen Irrtums in turbulenter Zeit kann er sich nichts abringen, gleichwohl die Notwendigkeit leugnend, dazu noch mehr Worte verlieren zu müssen. Die Brillanz der früheren Studentin hatte er seinerzeit ja schon erkannt - ihre Karriere als erfolgreiche und geachtete Hochschullehrerin ist ihm kaum der Rede wert. Als Verkäuferin seines Manuskripts, damit der geschasste Professor nach dem Kriege zu ein wenig Geld kommt, ist sie ihm nützlicher. War der junge Heidegger ein eitler Pfau - der alte steht ihm an Selbstverliebtheit in nichts nach. Er weiß, dass ihm kein anderer Weg bleibt als der Abgang. Rolf Mautz gelingt eine überzeugende Darstellung. 

Zwei weitere Personen des Stücks, Rafael Mendelssohn, der von der jungen Hannah verlassene Studienfreund, und Michael Ben-Shaked als Sohn dieses Jugendfreundes und damit als Ankläger der älteren Hannah (weil sie sich schützend vor Heidegger stellt), werden von Arne Lenk dargestellt. Beide sind Kunstfiguren, erdacht von der Autorin des Stücks. Sie geben dem Werk eine spannende Wendung.

Ein wenig rätselhaft bleiben in der Inszenierung allein die beiden englisch gesungenen Popsongs, die sich weder in ihrer Sprache, noch in ihrem musikalischen Stil harmonisch von allein erklären. Warum englisch? Nur weil Hannah Arendt am Ende amerikanische Staatsbürgerin war? Ihre Heimat war die deutsche Sprache. Ihr war nicht nur wichtig zu verstehen, sondern auch, sich verständlich zu machen. Die Funktion gerade dieser Songs in dieser Sprache erschließt sich nicht. Man fragt sich hilflos, warum sie gerade so mit ins Stück hinein mussten, auch wenn es eigentlich ganz hübsche Liedchen sind und auch von Maria Munkert nett gesungen werden. Aber anders als Hannah Arendt strebt nicht jeder danach, alles zu verstehen, bis es wirklich verstanden ist. Man muss ja nicht wirklich alles verstehen... 

Letztlich bleibt das gelungene Wiedererwecken einer Lust, ins Theater zu gehen, nicht nur in alternative Produktionen weit ab von bezuschusstem Kulturbetrieb, sondern auch dort, wo große Bühnen engagierten Theaterleuten - Schauspielern und Regisseuren - eine Möglichkeit bieten, wenigstens für die Dauer eines Schauspiels in andere Realitäten einzutauchen. Beifall mit ein paar Tränchen der Begeisterung. Toll und Danke.

Theater der Keller

"Non(n)sens"

Broadway-Musical von Dan Goggin
Aufführung am 13.11.08 im Theater Der Keller, Köln
Daumenkritik: jedes Zögern ignorierend - Daumen strecken

 
Man möchte Meisner und seine Gefolgschaft zwangsverpflichten, sich diese göttliche Komödie nicht entgehen zu lassen – ein harmloses Vergnügen rund um die "Pinguine", die plötzlich - oder besser: notgedrungen - selbst von der Lust gepackt werden, sich im Showbizz zu versuchen. Dass dabei auch mancher derbe Witz Verbreitung findet, der zart Besaiteten an die Nieren gehen könnte – geschenkt. 

Beispiele? „Warum gibt es in katholischen Kirchen keine Klos?“ Die Pointe sei hier genauso verkniffen wie die Antwort auf die Frage: „Was ist der Unterschied zwischen Jesus und Casanova?“ Man kann sich ja Tickets besorgen und reingehen.

Zimperlich in seinen „religiösen Gefühlen“ darf man allerdings nicht sein, wenn man nicht pikiert nach dem Ausgang schielen will, obwohl alles – aus meiner Sicht jedenfalls – auf der harmlosen Ebene bleibt. Ein bisschen Spaß muss schließlich erlaubt sein, auch auf Kosten von Glauben und Kirche, schließlich sollten auch Nonnen das Lachen genauso wenig verlernt haben wie Kardinäle... Nun gut – es mögen unterschiedliche Pointen sein, die die Lachmuskeln reizen.

Am Broadway war die Geschichte um vier Nönnchen und ihre Mutter Oberin, die es sich zur Aufgabe gestellt haben, die Bestattungskosten für ein paar hingeschiedene Kuttenträgerinnen, die den eigenen Küchenfraß nicht überlebt haben, mit einem Abstecher ins Showgeschäft aufzubringen, offenbar ein voller Erfolg. „Sister Act“ lässt grüßen, und was auf der Leinwand funktioniert hat, sollte doch auch auf den Musical-Brettern Erfolg verheißen. Wer anspruchsvolle Unterhaltung sucht, wird hier kaum fündig, aber es kann ja auch mal einfach nur so lustig sein. 

Die Darstellerinnen wirbeln – jede auf ihre Weise und in der jeweiligen Rolle schlüssig – amtskirchlichen Staub auf und zeigen bei Nonnen ungeahnte, bei Schauspielerinnen jedoch eigentlich kaum überraschende Fähigkeiten. Soweit es die Inszenierung vorsieht, ist die eine süß, die andere ehrgeizig, die dritte niedlich, die vierte gelegentlich ein Biest – und die strenge Mutter Oberin darf am meisten ausflippen. 

Wobei sich manches Talent aber auch weitaus breiter offenbart als normal abzusehen wäre: So hat Elena Galindo Y Killmer in ihrer Rolle als Stellvertreterin der Mutter Oberin kurz vor Schluss eine Solo-Gesangsnummer, die erst da deutlich macht, was man vorher schon ahnen konnte: Dass sie nämlich mit ihrer Stimme machen kann was sie will. 

Ein Stück, das gute Laune macht und gewiss auch keine falsche Wahl ist, um damit am Silvester-Abend mit guter Stimmung in Sektlaune auf den Jahreswechsel anzustoßen.

Schlussbemerkung zur "Herkunft" des Stücks: Der Erfolg des Musicals am Broadway sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass gerade in diesen bigotten Vereinigten Staaten von protestantischer Seite gerne über Katholiken hergezogen wird. Ich warte auf ein fetzig komponiertes oder inszeniertes Stück zur "Lebensfreude" im evangelikal-klerikalen Bibelbelt, ohne Rücksichten auf wiedergeborene Fundamentalisten... Die Witztauglichkeit ist nicht geringer...

Steve White

Blues-Man , US-Singer-Songwriter

Konzerte am 30.10. 08 im Cafe Stückgut, Solingen

und am 24.10. in privatem Rahmen in Köln

Daumenkritik: amtlich hochgestellte Daumen mit langen Nägeln


Gitarristen gibt’s viele, und so ist es auch für Könner nicht einfach, aus der Menge der Saitenzupfer herauszuragen. Was der in San Diego lebende Gitarrist aus seiner Baritongitarre (ohne Halsverlängerung) herausholt, ist absolut hörenswert. Da wäre zunächst der Gesamtklang, der durch die dickeren Saiten und die tiefere Stimmung voluminöser ist. Seine „Bearbeitung“ dieser Saiten mit den Fingern beider Hände kann bei verblüfften Zuhörern den Blick auf die eigenen Finger lenken und Kopfschütteln auslösen. 

Genau – mehr setzt Steve White auch nicht ein…  er macht es nur gekonnt. Aber es stimmt nicht ganz. Denn was bei dem Kalifornier dazu kommt, ist die Bein- oder besser „Fußarbeit“: Beschuht mit Holzpantinen hat er seine Füße auf einer unterschiedlich bebretterten Holzplatte gesetzt, die mit einem Tonabnehmer versehen ist. Darauf bewegt er die Füße unterschiedlich und minimalst im Takt und erzeugt so eine rhythmische Begleitung, die in Ergänzung zu seinem ohnehin recht perkussiven Gitarrenspiel die gesamte Performance verblüffend abrundet. Setzt Steve White zusätzlich auch noch die Harmonika ein, kann man leicht den Eindruck gewinnen, dass da eine komplette, wenn auch spar-, dafür aber äußerst wirksam aufspielende Band zu hören ist. 

Steve White stellt seine „Sidemen“ in einem eigens dafür von ihm geschriebenen Song vor: Die linke Hand, die rechte, verkörpern die Melodie- und Rhythmusgitarristen jeweils aus Ost und West (sie erzeugen übrigens alle Töne nur mit Fingern, an denen die Nägel normal kurz geschnitten sind…), der „Holzschuh-Drummer“ am Boden aus dem Süden, und der Harpspieler aus dem Norden setzt seine Lippen ein. 

Wer nun erwartet hätte, so besetzt hätte die „Band“ nur den Blues im Repertoire, täuscht sich. Steve White genießt es sichtlich – wenn er die entsprechende konzertante Atmosphäre vorfindet -, filigrane Balladen und melodische Kompositionen zu spielen, bei denen die Vielseitigkeit seines Könnens erst so richtig zur Geltung kommt. Wer das Glück hat, auch diese Seite des Künstlers erleben zu können, kann sich gratulieren. Nur zu verständlich, dass er an dafür weniger geeigneten Spielstätten eher zögert, ein weniger interessiertes Publikum damit zu überfordern.

Fazit: Ein beeindruckender Singer/Songwriter, den man nicht verpassen sollte.

Tony Joe White (Trio)

Swamp-Rock

Konzert am 18.11.2008 in der Harmonie, Bonn
Daumenkritik: bestenfalls einer halbhoch, der andere quer,

aber eigentlich doch eher beide quer...
 
Man muss nicht im Rückblick ein Konzert nur deshalb gut finden, weil man nennenswert viel Geld für den Eintritt bezahlt hat und „dabei“ gewesen ist, sozusagen zur Rechtfertigung der eigenen Zeitverschwendung. Doch zu fragen wäre ja auch, wer da wessen Zeit verschwendet hat, ob man es selbst hätte wissen können/müssen, dass dieses Risiko bestand, oder ob man in seiner Vorfreude einfach zu blauäugig gewesen ist.

An einem Konzertort, an dem ich in den seltensten Fälle erlebt habe, dass ein „Support“ der Hauptattraktion des Abends vorausgeschickt wird, um in dessen ohnehin schmalen Zeitbudget zu wildern (diesmal durfte ein junger Schweizer seinen anglofizierten Alpenpop präsentieren, ohne dass dies nachhaltigen Eindruck hinterließ), traf mich an diesem Abend doch manches relativ unvorbereitet: 

Der Support als solcher, der mich einmal mehr über die Frage sinnieren ließ, wie wohl so eine „Kombination“ aus Haupt- und Nebenkünstler zustande kommt, und ob sich irgendjemand vielleicht irgendwann mal was dabei denken könnte…; die „Umbaupause, als es darum ging, nach der ersten, vergeudeten halben Stunde 1 (in Worten: ein) Mikrofon abzubauen und ein (1) Kabel aufzurollen, und dies dann noch mal annähernd eine (gefühlte) halbe Stunde dauern musste. Musste? 

Und schließlich der Schlapphut-Swamper, bei dem den ganzen Abend nicht so ganz klar wurde, wie ernst er eigentlich das nimmt, was er da auf der Bühne treibt. Überanstrengt hat er sich wahrlich nicht in seinen 70 Minuten, die er mit reichlich ausgedehnten Takten füllte, und anstatt froh zu sein, dass von ihm tatsächlich eine Zugabe gewünscht wurde (na ja, Polk Salad Annie ist eben ein Klassiker, der taktisch geschickt gegen Ende im Programm immer durch Wiedererkennung entsprechende Begeisterung auslösen kann), ließ er gefühlte zehn Minuten auf sich warten, eher er sich herabließ. 

Mag sein, dass ich empfindlicher werde, mag sein, dass ich bislang in der Harmonie bei der Auswahl meiner Eintrittskarten Glück gehabt habe. Es ändert nichts am dicken Hals, der wiederum, sagen wir mal, die positive Grundstimmung beim Konzerterlebnis nachhaltig eintrüben kann.

Am besten haben mir im Rückblick – nein, nicht die Support-Songs - außer dem erwähnten Klassiker noch die beiden solistisch dargebrachten Eingangssongs gefallen. Danach hieb dann der Drummer mit der bemerkenswerten Präzision eines Uhrwerks zu (wobei es eigentlich ein abwechselndes Stampfen mit beiden Füßen doch auch getan hätte...), während sich DER Swamper „schlecht“hin (hier stimmt’s) im Herunterspielen seiner Songs beim Wiederholen von „Lehrtakten“ ewig Zeit ließ. Auch so lässt sich eben, ohne ausufernde Solis, Zeit schinden. 

Nun gut, die Stimmung um mich herum schien unbeeinträchtigt, das will ich nicht verheimlichen. Doch auch in manchen zuvor noch freudig erregten Gesichtern zeigte sich ein Enttäuschungsschimmer, als sich der Mann unterm Schlapphut zum ersten Mal verdünnisierte und es dann so lange dauerte, bis er wiederkam und noch zwei Songs dranhängte, unter anderem „Steamy Windows“, ein Song aus seiner Feder, den immerhin Tina Turner weltbekannt gemacht hat. Dass er selbst nicht mehr als den einen grandiosen Hit zustande brachte (besagte Polk Salad Annie) fand für mich in diesem Konzert zumindest ansatzweise eine Erklärung. Und wenn ich's recht überlege, ist er mit zwei Querdaumen noch verdammt gut weggekommen...