Hallo Kamraden

 

Geschlaucht, gerädert,

und vor Augen nur ein Ziel:

Das nächste Wochenend,

um wieder Mensch zu sein.

Ein Selbstzweck in oliv,

ab Freitag in Zivil.

Der Intercity rollt

im Bahnhof als Befreier ein.

 

Hallo Kamraden –

und das Bier aus Dosen zischt.

Was nicht gewollt ist,

wird mit Alkohol verwischt.

 

Stunden auf Schienen,

Drecksklamotten im Gepäck.

Heimkehrerinvasion,

erwartet und ersehnt.

Für eine Weile

ohne Anschiss, ohne Dreck.

Nach Luft zum Atmen

sich der Brustkorb gierig dehnt.

 

Hallo Kamraden –

auf zu Hause einen Schluck.

Auf ex gekippt –

und schon vergessen ist der Druck...

 

Freiheit auf Raten,

im Fünf-Tage-Takt gewährt.

Genuss in Eile, den

der Fahrplan kalt diktiert.

Erst späte Einsicht:

Die Entscheidung war verkehrt...

Zu spät ist nie,

eh man die Selbstachtung verliert.

 

Hallo Kamraden –

schmeckt das Bier noch immer gut? Ja?

Sauft ihr, um zu vergessen,

was sich in euch tut?

 

Gedrillt an Waffen –

und den Helm ab zum Gebet.

Von „Zapfenstreicheleinheit“

fürsorglich verwöhnt.

Beim Dienst am Krankenlager

auch die Zeit vergeht...

In Zimmer dreizehn

ein Manöveropfer stöhnt...

 

Hallo Kamraden –

und das Bier aus Dosen zischt.

Was ihr gewollt habt,

wird so einfach nicht verwischt...

 

Copyright Ende der 70er Jahre Gerd Schinkel

 

Zur leidigen Wehrpflicht bereits Ende der siebziger Jahre mit einem ersten Entwurf begonnen, verarbeitet das Lied Erlebnisse aus stundenlangen Reisen in Zugabteilen mit wehrpflichtigen Wochenendheimkehrern aus den Stationierungsorten. Das Lied entstand, als ich häufig freitags spät abends nach dem Klausurenkurs im Bürgerlichen Recht mit dem Zug von Bonn nach Stuttgart fuhr. Häufiger stiegen in Koblenz auch Rekruten der Bundeswehr in den Waggon. Ich war immer froh darüber, wenn sie nicht zu mir ins Abteil kamen und ich so nicht genötigt war, hautnah ihre Besäufnisse mitzuerleben. mit denen sie ihren in der Dienstwoche aufgestauten Frust ertränkten. 2000, etwa 25 Jahre später, bekam das Lied für mich neue, unerwartete Aktualität dadurch, dass der damalige Freund meiner Tochter Rekrut wurde und mir damit die längst vergessenen Bahnfahrten wieder in Erinnerung kamen.