Big Brother

 

Es blendet grell ein weißes Licht

und man kann vor Helligkeit nichts sehn.

Ringsum sind leere Straßen,

und doch bleibt vor Platzangst keiner stehn.

Beklemmung presst die Gurgel zu

und zwingt auf die Stirne kalten Schweiß.

Sie lässt die Knie zittern

und fährt in die Gesichter - käseweiß.

 

Big Brother is watching.

Wir sind längst so weit.

Die Wanzen leben lang schon,

und sie finden eine gute Zeit.

 

Draußen weht ein kalter Wind,

doch bewegt er keine Luft.

Die Blüten stehn in voller Pracht,

doch du atmest keinen Duft.

Die Nackenhaare sträuben sich,

und darunter ist ne Gänsehaut.

Die Spitzel wirken im Geheimen.

Wehe dem, der ihnen blind vertraut.

 

Big Brother is watching.

Wir sind längst so weit.

Die Wanzen leben lang schon,

und sie finden eine gute Zeit.

 

Dünne Wände, lange Ohren:

Wie leicht wird man heut belauscht...  

Wohin du dich verkriechst,

dein Atem durch Empfangsantennen rauscht.

Glaubst du auch frei zu reden, wird doch

jedes kleine Wort sogleich erfasst.

Einmal wird man was finden, danach fragen,

wenn dus längst vergessen hast.

 

Big Brother is watching.

Wir sind längst so weit.

Die Wanzen leben lang schon,

und sie finden eine gute Zeit.

 

Wer weiß, wie viel geheime Akten

schon in den Panzerschränken stehn?

Unkontrollierte Spitzel frech

mit Billigung verbotne Wege gehn.

Was sie von dir notieren, das bleibt hängen

und zerstört dir deinen Ruf.

Schon hast du keine Chance mehr

und auch keinen Beruf...

 

Big Brother is watching.

Sieh nur genauer hin.

da müsst man doch was ändern –

sonst fehlt dem Wörtchen „Freiheit“ jeder Sinn,

jeder Sinn.

 

Aktualisierungsversuch Jahrzehnte später:

Die Wanzen greifen um sich.

Der große Lauschangriff macht kaum noch Sinn,

kaum noch Sinn...

 

Copyright Ende der 70er Jahre, mit Aktualisierung des Schlussrefrains

 

Es war im so genannten „Deutschen Herbst“ des Jahres 1977 – das Jahr 1984 der Orwellschen Visionen schien noch weit weg - , als in der Bundesrepublik der Atomwissenschaftler Klaus Traube ins Visier des Bundeskriminalamtes geriet. Wegen angeblicher Kontakte zu Terroristen wurde er das Opfer eines Lauschangriffs, für den die staatlichen Fachleute heimlich Abhörmikrofone in seiner Wohnung installiert hatten. Der Wissenschaftler war ins Visier des Verfassungsschutzes geraten, weil er wohl jemanden kannte, der jemanden kannte, der jemanden kannte, der verdächtig schien. Und damit war Traube zum Sicherheitsrisiko geworden und war in seinem Job nicht mehr tragbar. Die Affäre weitete sich zu einer Regierungskrise aus, in deren Folge der damals zuständige Bundesinnenminister Werner Maihofer (FDP) die politische Verantwortung übernahm und zurücktrat. Kritik an der staatlich geschürten Hysterie und der Rechtsstaatsverletzung in der Bundesrepublik Deutschland war allgemein auf linker Seite im ganzen linken Spektrum wohlfeil. Die Empörung bekundenden orthodoxen Linken in der Bundesrepublik meinte ich an den Umgang der DDR-Staatssicherheit mit dem Regimegegner Professor Robert Havemann erinnern zu müssen, einem Professor der Naturwissenschaften, der sich vom aktiven kommunistischen Widerstandskämpfer in der Nazizeit zum Dissidenten entwickelt hatte und deswegen in der DDR Berufsverbot erhalten hatte. Sobald es aber darum ging, die staatliche Repression der DDR-Staatssicherheit gegen den Naturwissenschaftler und linken Dissidenten Robert Havemann zu kritisieren, schwieg ein erheblicher Teil derjenigen, die sich in der Bundesrepublik selbst zur „Linken“ zählten – oder noch schlimmer: Sie rechtfertigten das Vorgehen von Stasi und SED. Das Lied ist deshalb beiden gewidmet: Klaus Traube und Robert Havemann. geschrieben 1977,