Mit Abstand

 

Eine Strecke hat ein Ende, eine Reise oft ein Ziel,

und ein offenes Gelände zeigt vom Weg vielleicht nicht viel.

Dort war ich oft ohne Zweifel, nie bereit, mich umzudrehn,

doch mit ein paar Jahren Abstand kann ich manches anders sehn.

 

Manchmal geht’s auf gerader Straße, und man kommt ganz gut voran,

ob mit Straucheln oder Stolpern - wenn man sich nur fangen kann.

Wollt auf andere nie hören, meinen Weg alleine gehn –

doch mit ein paar Jahren Abstand kann ich manches anders sehn.

 

Hab ich irgendwem geschadet oder jemanden verletzt,

vielleicht irgendwen verstimmt, beleidigt oder gar entsetzt,

bitt ich reuig um Vergebung, war es absichtlich geschehn,

so mit ein paar Jahren Abstand kann ich manches anders sehn.

 

Trat ich jemanden vors Schienbein, hab ich irgendwen bedrängt,

oder rücksichtslos geschubst, geschoben, jemanden verdrängt,

bitt ich schamhaft um Verzeihung, kann’s im Rückblick nicht verstehn,

so mit ein paar Jahren Abstand kann ich manches anders sehn.

 

Hab ich jemanden enttäuscht, vielleicht verärgert und vergrätzt,

irgendjemanden verraten, angeschwärzt, sogar verpetzt,

ist mir heut das mehr als peinlich, und doch wird's nicht ungeschehn –

so mit ein paar Jahren Abstand kann ich manches anders sehn.

 

Blick ich rückwärts, seh mich um, versucht vielleicht eine Bilanz,

bleibt sie immer voller Lücken und gelingt bestimmt nie ganz.

Ist auch manches gut geraten, anderes blieb nicht lang bestehn –

so mit ein paar Jahren Abstand kann ich manches anders sehn. 

 

Hab ich heut mein Ziel vor Augen, seht von fern schon, wie es winkt,

lauf ich schneller, weil ich rascher dem entkommen will, was stinkt,

überschätz leicht meine Kräfte, muss es mir auch eingestehn -

so mit ein paar Jahren Abstand kann man manches anders sehn.

 

Copyright 2012 Gerd Schinkel