Verklappt

 

Wenn andere in den Spiegel sehen,

wird deutlich, wem sie ähnlich sind.

Wer kann fest auf dem Boden stehen

als nachtgebornes Findelkind.

 

Zur Welt gebracht im schwarzen Dunkel,

weiß nicht von wem, weiß nicht wann.

Objekt stets für Gerücht, Gemunkel -

man überlebts, gewöhnt sich dran.

 

Weiß nichts von sich, von seinen Genen,

von seinen Wurzeln, seinem Weg.

Wo fing er an? An wen sich lehnen?

Die Herkunft ohne ein Beleg...

 

Verklapptes Kind, kalt abgenabelt,

anonym aus nichts geborn,

aufgesammelt, aufgegabelt,

gefunden - und bleibt doch verlorn.

 

Aus der Familienchronik hören –

auch jenen Abschnitt über sie.

Weiß der gewiss, er wird nie stören,

wer nie weiß, ob man ihm verzieh,

 

dass er entstanden und gewachsen –

doch nicht gewollt, deshalb entsorgt,

entbunden und gleich losgeworden:

Wie ein Objekt, auf Zeit geborgt.

 

Weiß nichts von sich, von seinen Genen,

von seinen Wurzeln, seinem Weg.

Wo fing er an? An wen sich lehnen?

Die Herkunft ohne ein Beleg...

 

Verklapptes Kind, kalt abgenabelt,

anonym aus nichts geborn,

aufgesammelt, aufgegabelt,

gefunden - und bleibt doch verlorn.

 

Wenn andre ihre Ahnen ehren,

vielleicht auch einfach ignoriern,

ist dies für manche ein Begehren,

an dem sie den Verstand verliern.

 

Verschickt, verscherbelt und verschoben,

verkappte Wurzeln – abgekappt.

Nichts dringt ans Licht. Die Spur zerstoben.

Auch ohne Klappe nur verklappt.

 

Weiß nichts von sich, von seinen Genen,

von seinen Wurzeln, seinem Weg.

Wo fing er an? An wen sich lehnen?

Die Herkunft ohne ein Beleg...

 

Verklapptes Kind, kalt abgenabelt,

anonym aus nichts geborn,

aufgesammelt, aufgegabelt,

gefunden - und bleibt doch verlorn.

 

Copyright 2006 Gerd Schinkel

 

Babyklappen werfen offenbar mehr Probleme auf als sie lösen (können). Dieses Lied soll eine Ahnung davon vermitteln, wie es jemandem psychisch gehen kann, der anonym durch die Klappe geschoben wurde, unerwünscht verklappt wie Giftmüll auf hoher See…